Die Schweinfurter Fußball-Fabrik
Autor: Martin Kreklau
Schweinfurt, Mittwoch, 26. April 2017
Das Willy-Sachs-Stadion ist mehr als eine Arena. Es ist eine Produktionsstätte für Fußball, in der der Spieler zum Bandarbeiter stilisiert wird.
Als Schweinfurt am Horizont auftaucht, hängt ein dicker Wolkenteppich über der Stadt. Es sieht aus, als würden ihn die zahlreichen Schlote speisen, die sich vom Boden aus in den Himmel recken. In den dazugehörigen Fabriken werden Kugellager hergestellt, aber auch Kupplungssysteme, Drehmomentwandler und Schwungräder. Der Weg führt in den nordwestlichen Stadtteil, vorbei an zahlreichen Backsteinhäusern und der riesigen Ledward-Kaserne, zu einer ganz besonderen Fertigungsanlage: Hier im Willy-Sachs-Stadion, beim 1. FC Schweinfurt 05, wird in erster Linie Fußball produziert - roh und unbehandelt.
Sehnsucht nach der großen Zeit
Benjamin Liebald blinzelt, als er aus dem Dunkel des Spielertunnels auf die Tartanbahn tritt. Er steckt die Hände in die Taschen seiner FC-05-Windjacke und lässt den Blick andächtig, fast demütig über die Tribünen und die dahinter liegenden Baumreihen wandern. Liebald, der "ausführende Arm des Vorstands", wie er selbst sagt, ist erst 29 Jahre alt, hat aber die ganz großen Zeiten des FC erlebt: die Aufstiege in die 2. Liga 1990 und 2001.Damals standen vor allem zwei bekannte Namen für den sportlichen Erfolg: Werner "Beinhart" Lorant saß auf der Trainerbank, sein Kapo auf dem Feld war der gebürtige Würzburger Bernhard Winkler. Diese Generation begründete das Selbstverständnis der Schweinfurter, das sie sich bis heute bewahrt haben.
Rückkehr ins Profigeschäft?
"Ein solider Drittligist, das ist, was Schweinfurt braucht", sagt Liebald heute. Und dieses Projekt will Klubpräsident Markus Wolf, der gleichzeitig größter Sponsor ist, in den kommenden zwei Jahren angehen. Die Rahmenbedingungen wurden bereits 1936 geschaffen: Das Sportgelände bietet mit seinen zwölf Plätzen alles, was man für Profi-Fußball braucht. Inzwischen gibt es auch einen Kunstrasen-Trainingsplatz, eine Flutlichtanlage für das Stadion, separate Eingänge für die Gästefans und so weiter. Die Maschinen stehen - jetzt muss nur noch die Produktion anlaufen.Neben dem Stadion und dem sensationellen Aufstieg 1990 gibt es noch einen dritten Faktor, der das Selbstbild der Schweinfurter prägt: der Ruf als "Malocherstadt". "Wir arbeiten Fußball" lautet daher der Slogan des Klubs, und der spiele auch für die Mannschaft eine wichtige Rolle, wie Liebald erklärt. Für Ballzauberer sei hier nur wenig Platz, es seien vor allem Spieler beliebt, die auf dem Rasen schuften können. Doch nur mit Einsatz und Leidenschaft wird sich ein Aufstieg in die 3. Liga nicht realisieren lassen. Liebald formuliert das so: "Wir sind der Tradition verpflichtet, aber wir versuchen natürlich auch, moderner zu werden."
Tradition und Moderne
Das Willy-Sachs-Stadion, mit seinen Backsteinen und den dichten Baumreihen hinter der Gegengeraden, wo der harte Kern der Fans seinen Platz hat, dient als perfektes Beispiel für diese Verbindung aus Tradition und Moderne. Und doch sorgt vor allem ein Aspekt der Historie immer wieder für Diskussionen: der Namensgeber. Willy Sachs war ein Industrieller aus Schweinfurt und Eigentümer der Fichtel & Sachs AG, die er von seinem Vater Ernst geerbt hatte. Dankbar sind ihm die Schweinfurter vor allem deshalb, weil er den Bau des Stadions zu einem Großteil finanziert und für viele Arbeitsplätze gesorgt hat. Doch es gibt auch ein dunkles Kapitel, das immer wieder Thema ist: Sachs trat 1933 von der SA in die SS über und hatte dort schließlich den Rang eines Obersturmbannführers inne. Zur Einweihung des Stadions kamen unter anderem Heinrich Himmler, Hermann Göring und Robert Ley. Eine Umbenennung ist dennoch kein Thema, denn für die meisten Schweinfurter überwiegen offenbar die positiven Leistungen Willy Sachs' für die Stadt und den Verein. "Da es im Grunde ein städtisches Stadion ist, in dem wir ein dauerhaftes Nutzungsrecht haben, halten wir uns als Verein zurück - aber der Name wird in der Fanszene immer wieder kontrovers diskutiert", erklärt Liebald.Der Blick des FC 05 richtet sich jetzt in die Zunkunft, denn der Verein will an die erfolgreiche Saison 2000/01 anknüpfen, als das Team um Trainer Djuradj Vasic und Martin Schneider erneut in die 2. Liga aufgestiegen ist.
An diese Saison können sich fast alles Fans erinnern: Die Schweinfurter schlugen zu Hause vor 11 000 Zuschauern unter anderem Arminia Bielefeld mit 1:0. Liebald war bei diesem Spiel dabei. "Es war sensationell", sagt er, "ich konnte mir nicht vorstellen, dass noch mehr Menschen in das Stadion passen könnten."