Das Leiden der Kissinger Fahrgemeinschaft
Autor: Jürgen Schmitt
Bad Kissingen, Montag, 16. März 2020
Ein Quartett der Kurstadt-Wölfe erlebt in Höchstadt ein Déjà-vu, auf das die Spieler liebend gerne verzichtet hätten.
Für Benni Dirksen ist es "die verrückteste und psychisch härteste Saison, die ich erlebt habe." Und das will etwas heißen, denn als Eishockey-Goalie hat der 31-Jährige schon einiges erleben dürfen mit Stationen unter anderem bei den Wölfen in Freiburg und Selb, den Lausitzer Füchsen oder den Mighty Dogs des ERV Schweinfurt. Aber in dieser Spielzeit kam es knüppeldick für Dirksen, der erst das vorzeitige Saison-Aus der Kissinger Wölfe zu verdauen hatte, dann ein zweites Mal vorzeitig vom Eis geschickt wurde. In diesen Tagen hätte Dirksen mit seinem neuen Verein, den Höchstadt Alligators, Playoff-Spiele bestreiten sollen, was der Corona-Virus zu verhindern wusste. "Das ist einfach unglaublich, man kann nicht wirklich darüber lachen. Man plant mit Geld und Aufwand, was auf einmal alles wegbricht", sagt der gebürtige Rheinländer. Die ehemaligen Spieler der insolventen Kissinger Wölfe stehen über eine WhatsApp-Gruppe noch in Kontakt. "Der Austausch ist da und wir wollen uns soweit möglich auch auf ein Bierchen treffen", sagt Dirksen.
Etwa ein Viertel des Gesamtetats machen bei den Mittelfranken die Zuschauereinnahmen aus. "In den vergangenen Jahren haben stets mehr als 1000 Zuschauer die Playoff-Heimspiele gesehen. Wir haben mit dem Erreichen des Halbfinals kalkuliert, also mit mindestens zwei Heimspielen. In Summe fehlen uns dadurch bis zu 40 000 Euro. Das bringt uns in Schwierigkeiten, gerade in Anbetracht des Saisonverlaufs", sagt mit Dominik Rogner der stellvertretende Präsident der Alligators.
Finanzielle Altlasten
Gespräche mit einzelnen Spielern über Vertragsverlängerungen wurden daher auf Eis gelegt. "Zunächst müssen wir die aktuelle Lage lösen. Um Kosten zu sparen, wird ab jetzt nicht mehr trainiert. Das gilt auch für den Jugendbereich, dessen Spielbetrieb ebenfalls eingestellt wurde", sagt Rogner, dessen Verein mit finanziellen Altlasten in die Oberliga-Saison gestartet war. "Als sich in der Hauptrunde abgezeichnet hat, dass wir in die Verzahnungsrunde müssen, haben wir Spieler nachverpflichtet. Die Einnahmen aus den Playoffs waren für die Gehälter eingeplant", so Rogner.
Benni Dirksen vermutet, dass etwa 80 Prozent der Eishockey-Clubs in eine finanzielle Schieflage kommen. "Das wird schwer, da rauszukommen. Den Sponsoren geht es oftmals ja auch nicht gut. Man muss an die Fans und Gönner appellieren." Bezüglich einer Vertragsverlängerung waren Verein und Goalie "in guten Gesprächen". Beim Blick zurück überkommt Dirksen dennoch Wehmut. "Das in Bad Kissingen war eine sehr schöne Zeit. Schade um den Standort und die Kinder, die aufgehört oder den Verein gewechselt haben." Die Insolvenz der Kissinger Wölfe wirkt sich beim Wahl-Kissinger auch auf einer anderen Ebene aus. "Ich arbeite ja in Ebenhausen in einem Eishockey-Fachgeschäft, und da fehlt uns jetzt natürlich ein gewisser Kundenkreis."
Zu den drei weiteren ehemaligen Spielern der Kissinger Wölfe, die zuletzt im HEC-Dress aufliefen, gehört Pascal Kröber. Der 28-Jährige dürfte sich mitunter wie auf einer Odyssee gefühlt haben. Schließlich kam der gebürtige Geraer vor der Saison vom Oberligisten Rostock Piranhas mitsamt Freundin an die Saale, auf Vermittlung seines Spielerberaters. "Und dann bekam ich mit, dass wir nicht in unsere Halle können und immer auswärts antreten müssen. Gut war, dass die Jungs echt in Ordnung waren und der Teamgeist gestimmt hat. Für Ablenkung hat auch die Arbeit gesorgt", sagt der gelernte Zimmermann, der in Garitz lebt und in seinem Beruf arbeitet. Was auch so bleiben soll, "weil ich mir keinen besseren Arbeitgeber vorstellen kann." Um Beruf und Hobby in Einklang zu bringen, würde Kröber ebenfalls gerne weiter für die Alligators spielen. "Als klar war, dass sich die Kissinger Wölfe aus der Bayernliga zurückziehen müssen, hatte sich mein Berater darum bemüht, dass ich in der Region bleiben kann. Es gab zwischendurch ein Angebot aus Hannover, aber ich bin froh, dass es dann doch mit Höchstadt geklappt hat."
Den Vertrag verlängert
Die Kissinger Fahrgemeinschaft an die Aisch wird komplettiert von Stürmer Anton Seewald und natürlich von Mikhail Nemirovsky, der aufgrund der vorangegangenen sportlichen Misere unter Martin Sekera nach wenigen Wochen ins Traineramt gehievt wurde. "So eine Eishockey-Mannschaft besteht aus vielen Charakteren. Aber ich profitiere von meiner Erfahrung. Ich kenne mich in diesem Job aus und wusste, was zu tun ist", erinnert sich der 45-Jährige, der fest damit rechnet, dass sein neuer Verein nach dem unfreiwillig schnellen Saisonende der Oberliga erhalten bleibt - mit Nemirovsky als Trainer übrigens.
Vergangenen Donnerstag hatte der Deutsch-Ukrainer das letzte Mal mit der Mannschaft trainieren können, jetzt beginnt der Aufbau einer neuen Mannschaft. "Wir brauchen einen ehrlichen Prozess mit den richtigen Leuten in der richtigen Position. Keine Egoisten, sondern Spezialisten auf ihrem Gebiet." Beim Blick auf die aktuelle Situation in Bad Kissingen spricht aus dem Vollblut-Sportler Nostalgie und Melancholie. "Seit 2014 war ich in Bad Kissingen. Wir haben schwere Zeiten durchlebt und sportlich dennoch so viel erreicht. Schade, dass es vorbei ist. Mit Eishockey wird es in Bad Kissingen nur weitergehen, wenn von Seiten der Stadt und Sponsoren größtmögliche Unterstützung kommt. Sollte die Eishalle wieder aufmachen, sollte der Nachwuchs zunächst kostenlos trainieren dürfen."