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Christian Wück fordert mehr Spaß im Fußball


Autor: Sebastian Schmitt

Reith, Dienstag, 10. April 2018

Der ehemalige Fußball-Profi wünscht sich von den Spielern mehr Emotionen und verrückte Dinge.
Christian Wück im Sportheim der DJK Reith.Sebastian Schmitt


"Das Spiel ist schnell geworden. Viel schneller als früher", sagt Christian Wück, einst quirliger Stürmer in Diensten des 1. FC Nürnberg und des Karlsruher SC und heute U15-Nationaltrainer beim Deutschen Fußballbund (DFB). Auf Einladung der Schiedsrichtergruppe Bad Kissingen hatte sich der 44-jährige gebürtige Wernecker auf den Weg ins schmucke Sportheim der DJK Reith gemacht. Dort blieb kein Platz frei, denn das Interesse der heimischen Unparteiischen aus der Rhön an den Gastvorträgen von bekannten Referenten ist ungebrochen riesig. "Ich werde sehr viel über Fußball erzählen", stieg Wück ein. "Vielleicht ist es wichtig, dass auch die Schiedsrichter die Reaktionen von Trainern manchmal etwas besser verstehen können."


Deutsche Tugenden 2.0

Im Mittelpunkt des Vortrags standen die Leitlinien des DFB für den Nachwuchsbereich. "Es gibt keinen Mario Basler mehr, es gibt keinen Ansgar Brinkmann mehr im Profigeschäft. Es gibt keinen mehr, der etwas anders macht als alle anderen. Aber dagegen wollen wir etwas tun", so Wück. Individualität soll künftig noch stärker in den Blickpunkt gerückt werden. "Es muss doch auch mal möglich sein, etwas Verrücktes auf dem Platz zu tun." Entwickelt haben die Juniorentrainer beim DFB daher die sogenannten "Deutschen Tugenden 2.0", um auch die Internetgeneration mental mitnehmen zu können. "Wir sind im Ausland dafür bekannt, dass wir sehr zielstrebig, sehr mutig und sehr diszipliniert sind", machte der weit gereiste Wück klar. "Leider müssen wir das den jungen Spielern immer wieder ins Gedächtnis rufen." Eine der zahlreichen übergeordneten Leitlinien aus sportlicher Sicht lautet: "Wir wollen den Ball. Wir wollen aktiv gestalten." Auch Ballverluste des Gegners sollen ganz bewusst provoziert werden. "Nach vorne wollen wir mutig sein, das Tor muss das große Ziel sein." Wück machte kein Geheimnis daraus, dass man in den vergangenen Jahren wohl viel zu viel über unterschiedliche taktische Systeme diskutiert habe. Dabei sei zu wenig auf die fußballerischen "Basics" geachtet worden.

Für Wück spielt die taktische Grundausrichtung eine untergeordnete Rolle. "Jede Situation verändert sich innerhalb von Millisekunden. Das Spiel ist wahnsinnig dynamisch." Die Situation immer wieder richtig zu erkennen und wahrzunehmen, sei eine der Grundaufgaben im Juniorenbereich. "Jeder Pass, der nicht gut gespielt wird, ist sofort ein Pressing-Signal für den Gegner. Gerade die jungen Spieler sind physisch unheimlich schnell geworden, aber nun müssen sie sich viel schneller entscheiden und orientieren können auf dem Platz." Im Sekundentakt ergeben sich auf dem Platz neue Spielsituationen. "Wir achten darauf, dass Pässe so scharf wie möglich und so präzise wie möglich geschossen werden. Wir wollen den letzten Pass möglichst vertikal spielen, um auch gegen gut verteidigende Gegner durchzukommen."

Ballbesitz allein bringe eine Mannschaft nicht zum Erfolg, man müsse noch viel stärker auf den Torabschluss aus sein. "Das wurde uns vom Bundestrainer Jogi Löw vor Jahren auch schon vorgeworfen, dass der Ball zu viel hin und her geschoben wurde." Wück macht wenig Umschweife und lässt klar erkennen, dass er die Junioren-Nationalmannschaften aus England und Spanien zum Beispiel "mindestens einen Schritt" voraus sieht. "Allerdings gelingt es den Engländern derzeit nicht, die jungen Spieler auch in angemessener Zahl in der eigenen Liga zu positionieren. Ich gehe daher davon aus, dass einige der englischen Talente ins europäische Ausland wechseln, auch in die Bundesliga."


Es geht nicht nur um Fußball

Das sei eben das große Plus der deutschen Juniorenteams in den zurückliegenden Jahren gewesen: Eine Perspektive auf eine Karriere in der Bundesliga. Doch für einen Junioren-Nationaltrainer geht es bei der Betreuung der Nachwuchsteams gar nicht nur um Fußball. Da gibt es auch ganz andere Probleme zu lösen: Heimweh, Liebeskummer, unbelehrbare Berater, verärgerte Eltern, Schulstress, besorgte Lehrer, Leistungsdruck. Die Liste der kleinen Nebenkriegsschauplätze ließe sich beliebig fortführen. "Schule und Fußball müssen in diesem Alter immer parallel laufen. Wenn eines von beiden nicht funktioniert, dann haben wir ein Problem. Ein ganz großes Problem." Daher müssen man auch als Coach immer im Hinterkopf haben, dass es eben um Jugendliche geht, die sich in vielen Bereichen des Lebens orientieren und zurechtfinden müssen. "Ich würde mir wünschen, dass die jungen Spieler manchmal mehr Emotionen zeigen. Fast alle sind mittlerweile sehr diszipliniert."

Doch wundern müsse man sich über diese Entwicklung nicht: "Denn ich bekomme teilweise Spieler, die sieben Mal in der Woche trainieren und am Wochenende spielen. Da müssen wir uns schon Gedanken machen, ob das noch der richtige Weg ist." In englischen Leistungszentren gehe man einen anderen Weg. Dort sei es noch üblich, dass im Juniorenbereich maximal drei Mal in der Woche trainiert wird. "Auch ich habe damals beim Club zunächst nur drei Mal in der Woche Training gehabt", blickt Wück zurück. "Vielleicht fehlt unseren jungen Spielern mittlerweile die sogenannte Hartplatzmentalität. Es wäre gut, wenn sie manchmal auch ganz ohne Anleitung, ganz ohne Trainer raus auf den Platz gehen und kicken. Ohne Druck. Ohne Beobachtung. Einfach nur aus Spaß. Aber fürs Kicken haben die jungen Spieler heute keine Zeit mehr."