Spielt ein Mann wie Olga Kern?
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 11. Juli 2016
Ein Klaviernachmittag
Sie ist die "Frau mit der Pranke", oder: "Sie spielt wie ein Mann". Kurzer Einwand: Wie spielen denn Männer? Aber eines stimmt schon: Die Moskauerin und Wahl-New-Yorkerin Olga Kern hat nie ihre russische Schule verleugnet, liebt schon immer die kräftigeren Klangfarben. Wirklich leise spielen hört man sie selten. Aber sie hat halt auch enorm viel Luft nach oben.
Auch bei Beethovens Salieri-Variationen über "La stessa, la stessissima". Sie sind selten zu hören, weil sie wirklich schwer sind; denn schon das Thema ist so stark verziert, als wäre es eine Variation. Olga Kern wühlte sich da durch, mit starken Kontrasten, mit lyrischen und dramatischen Differenzierungen auf ihrem Niveau. Aber sie war wohl noch etwas unkonzentriert, hatte kleine Aussetzer, wie auch bei der etwas banal wirkenden, aber technisch unglaublich schweren G-dur-Etüde von Alkan mit ihrer Mittelstimmenakrobatik.
Zu sich fand Olga Kern bei Chopins b-moll-Sonate op. 35, die sie mit großem, erzählendem Ton spielte, in der im Trauermarsch - er begann wirklich leise - auf die beklemmende Wirkung jedes einzelnen Tons zielte.
In den vier Etudes-tableaux und acht Préludes von Sergej Rachmaninoff war Olga Kern endgültig in ihrer Welt. Da konnte sie ihre ganze technische Souveränität ausspielen, um wirklich Musik zu machen, um sie über das Staunen über das Virtuose zu den Inhalten zu führen. Da zeigte sich die pointierte Gestalterin. Als Zugaben spielte sie die Etüde op. 4/2 von Prokof-ieff und Rimski-Korsakovs "Hummelflug" in der Bearbeitung von Rachmaninoff.