Druckartikel: Spaß in einer fremden Welt

Spaß in einer fremden Welt


Autor: Gerhild Ahnert

Bad Kissingen, Dienstag, 16. Juni 2015

Leandro Lafont und Friedrich Mack entführten in die Welt der Barockoper und ernteten dafür Begeisterungsstürme.
Arien aus der Barockzeit von Vivaldi bis Händel in einer nicht nur konzertanten Aufführung sangen der Sopran Leandro Lafont (Mitte) und der Bariton Friedrich Mack (rechts), begleitet von Jörg Wöltche (links) und den Stimmführern des Kammerorchesters Bad Kissingen. Foto: Ahnert


Das Publikum war neugierig, erwartete Ungewöhnliches, als es zum Konzert "Farinelli - Zeitalter der Kastraten" in die Erlöserkirche kam. Und trotzdem war es am Ende wie vom Donner gerührt, viele sprangen zum Schlussapplaus auf, baten die Sänger um Autogramme und suchten das Gespräch.
Kirchenmusikdirektor Jörg Wöltche, Kantor an der Kirche und offen für jeden Seitensprung über das Repertoire des braven Kirchenmusikers hinaus, hatte "Barocke Arien" angekündigt, die der kolumbianische Sopran Leandro Lafont und der schwäbische Bariton Friedrich Mack singen würden.

Nicht akademisch-trocken

Das hätte eine trocken-akademische Angelegenheit werden können, doch - und das war es wohl neben der Anerkennung für die großartige Leistung der beiden Sänger, von Jörg Wöltche am Cembalo und den fünf Stimmführern des Kissinger Kammerorchesters, was das Publikum von den Kirchenbänken riss - es war ganz anders.
In seiner kurzen Einführung erläuterte Wöltche, dass in der barocken Oper die damaligen (Kastraten-)Soprane die großen männlichen Heldenrollen sangen, während ihre Gegenspieler, Schurken, Bösewichter, Königsmörder in der tiefen Stimmlage dagegenhielten. Der daraus entstehenden Spannung trug das Konzert mit einem spannenden Wechsel zwischen der ganz hohen und der ganz tiefen Lage Rechnung. Auch in der Begleitung gab es Kurzweil, da in unregelmäßigem Zusammenspiel mit dem Cembalo und den fünf Orchestersolisten Christel Gimmler und Yvonne Avenarius (Violinen), Klaus Nill (Viola), Christine Stumpf (Violoncello) und Thomas Ahnert (Kontrabass) musiziert wurde.
Solistisch zeigen konnten sich Primaria Christel Gimmler in Georg Philipp Telemanns hochvirtuoser Sonate für Violine und Basso continuo, und Jörg Wöltche mit dem Allegro moderato aus Domenico Scarlattis Sonata in d-moll.
Das Außergewöhnliche an diesem Abend war aber, dass hier nicht nur mitreißend musiziert wurde, sondern dass es gelang, ein wenig von dem Eindruck einer Barockoper durch die Wirkung von prächtigen Kostümen und den Einsatz einer hochstilisierten Gestik und Mimik in den kargen Kirchenraum zu transportieren.

Mehrfacher Kostümwechsel

So sang Friedrich Mack seine Parts mit sorgsam ondulierter grauer Zopfperücke, dunkelgrauem Brokatmantel, herausgeputzt mit roter Schärpe. Und Leandro Lafont verdeutlichte die androgyn schillernden Rollen seines Stimmfachs durch den Wechsel von weißer Langperücke und blau glänzendem Seidenkleid in seinen Frauenrollen zum cremefarbenen Brokatmantel mit imposantem Federhut als Festgewand eines Triumphators in den Männerrollen. So wurden sowohl die beeindruckende Theatralik als auch die überstilisierte Künstlichkeit der Barockoper sinnlich erfahrbar.

Halsbrecherische Koloraturen

Die vielen Wiederholungen, das Fiorito der Ausschmückungen und die halsbrecherischen Koloraturen wirkten in diesem Kontext der eleganten Gekünsteltheit nicht mehr wie ein Fremdkörper, Bewegungen und Melodien waren Teil eines Ganzen. In dieser Umgebung interpretierten die beiden Sänger ihre komplizierten, aber wegen der Intensität der Gestaltung von Trauer bis Triumph mitreißenden Arien.
Friedrich Mack brauchte etwas Zeit, bis die Stimme richtig saß, aber in der Arie des Garibaldo aus Georg Friedrich Händels Oper "Rodelinda" zeigte er seinen Bariton auch in den tiefen Lagen sehr beweglich und gestaltete diese Arie der Enttäuschung sehr eindrucksvoll. In der wunderschönen Arie des Achilla aus Händels "Giulio Cesare" gelang es ihm zusammen mit den großartig aufspielenden Orchestersolisten, die heftige Bewegung des Königsmörders in den Kapriolen der Händel'schen Komposition äußerst mitreißend umzusetzen.
Schon durch die Kostüme und die ungewöhnliche Stimmlage sehr eindrucksvoll kam Leandro Lafont über die Bühne. Er führt seinen Sopran sicher und schaffte es etwa in der Arie des Iarba aus Johann Adolph Hasses Oper "Didone", mit geläufiger Gurgel die raffetückischen Verzierungen nicht nur in die Höhe, sondern auch hinunter in die Tenorlage locker und absolut intonationssicher zu schrauben.
Die schon im Programmheft angekündigte Zugabe des berühmten "Ombra mai fu" aus Händels "Xerxes" wurde am Ende ausgespielt als witziger Wettstreit zwischen den beiden Sängern, wobei Mack auch mal auf die Kanzel stieg, um die Oberhand in dieser eigentlich für die Mezzosopranlage geschriebene Arie zu erhalten - zum Ergötzen des Publikums, das nicht erst hier bemerkte, dass dieses Konzert Spaß machen sollte.