Sorge um Verbleib im Pflegeheim
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Montag, 26. Dezember 2016
Am 1. Januar tritt die neue Pflegereform in Kraft. Bei der Umsetzung sorgt eine Gesetzeslücke für Probleme.
Maria Back (Name geändert, Anm. d. Red.) ist 93 Jahre alt und lebt seit Jahren in einem Alten- und Pflegeheim im Landkreis. Die zierliche Frau hat eine Chemotherapie und mehrere Knochenbrüche in den vergangenen Jahren vergleichsweise gut weggesteckt. Kurze Strecken läuft sie an Krücken, den Großteils ihre Alltags verbringt sie ohne Hilfe. Sie leidet allerdings an typischen Altersgebrechen, sie hört und sieht zunehmend schlechter und braucht Hilfe beim Essen. Von den Befürchtungen ihres Betreuers, dass sie im schlimmsten Fall in wenigen Wochen ein Fall fürs Obdachlosenheim werden könnte, kriegt sie nicht viel mit.
Maria Back ist ein Fall für die Sozialhilfe: Ihr Barvermögen über 50 000 Euro wurde während der Zeit im Heim aufgebraucht. Nahe Verwandte, die darüber hinaus für die Kosten ihrer Unterbringung aufkommen könnten, gibt es nicht, die eigene Rente reicht bei weitem nicht. Der Bezirk Unterfranken springt deshalb seit November 2012 als zuständiger Sozialhilfeträger ein und übernimmt die Kosten für das Altenheim.
Betreuer nicht eingebunden
Reinhold Federlein regelt als Betreuer seit Februar 2010 die Angelegenheiten für die Seniorin. Bislang habe es kaum Probleme gegeben. Jetzt wirft er dem Bezirk vor, ohne sein Wissen eine Pflegebegutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) veranlasst zu haben. "Der Bezirk hat mich als amtlich bestellten Betreuer übergangen. Das Vorgehen des Bezirks halte ich für rechtlich unzulässig", schimpft der ehemalige Rechtsanwalt aus Bad Bocklet. "Ich hatte keine Möglichkeit dabei zu sein, wenn die Frau begutachtet wird", beschwert er sich. Zum ersten Januar tritt das neue Pflegestärkungsgesetz in Kraft. Bislang wurden Pflegebedürftige je nach Schwere ihrer Beeinträchtigung in drei Pflegestufen eingeteilt. Nach der Reform gibt es fünf Pflegegrade. Die Bundesregierung will damit unter anderem eine individuellere Versorgung der Patienten gewährleisten.
Maria Back hatte bislang keine Pflegestufe. Der MDK hat bei seiner Begutachtung allerdings eine eingeschränkte Alltagstauglichkeit festgestellt. Das würde dazu führen, dass die Seniorin ab Januar in den Pflegegrad II überführt wird.
Federlein beklagt, dass ohne sein Wissen bei der zuständigen Krankenkasse stationäre Pflegeleistungen beantragt wurden. Die Kasse lehnte allerdings ab, sie sah keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz. Der Betreuer befürchtet nun, dass sich weder Krankenkasse noch Bezirk finanziell um die Seniorin kümmern. "Meine Befürchtung ist, dass sie nach den neuen Pflegerichtlinien aus dem Bezugssystem rausfällt", sagt Federlein. Und sie damit im schlimmsten Fall auf Obdachlosenhilfe angewiesen wäre. Er kritisiert des Weiteren, dass es von Seiten der Behörden wenige Wochen vor in Kraft treten der Gesetzesänderung bislang keine klare Aussagen ihm gegenüber gegeben hat.
Bezirk: Keine Verschlechterung
Der Bezirk weist sowohl die Anschuldigungen, als auch die Bedenken Federleins vehement zurück. "Die Befürchtungen sind völlig unbegründet. An der grundsätzlichen Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers hat sich durch die Feststellung der Krankenkasse überhaupt nichts geändert", entgegnet Pressesprecher Markus Mauritz. Er bestätigt, dass die Begutachtung veranlasst wurde. "Bei eingeschränkter Alltagskompetenz besteht bereits heute ein Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen", sagt er. Wenn möglich müssen zunächst Pflegegelder abgerufen werden, erst danach greift die Sozialhilfe. Weil der Betreuer sich nicht um die Einstufung auf eingeschränkte Alltagskompetenz gekümmert hat, war der Bezirk berechtigt, die Begutachtung zu beantragen, so Mauritz.Er betont, dass sich am Status quo für Maria Back nichts verschlechtert. Im Gegenteil: Die Feststellung des MDK bedeute grundsätzlich, dass sie "laufende Leistungen der Pflegeversicherung in erheblichem Umfang erhalten wird". Diese Gelder reichen zwar nicht aus, um die Heimkosten zu begleichen, den Rest übernimmt aber der Bezirk über die Sozialhilfe.
In der Geschäftsführung des Heims sind die Befürchtungen ebenfalls bekannt. Maria Back ist dabei kein Einzelfall. "Es gibt diese Fälle nicht gehäuft, aber es sind schon einige", heißt es. Schuld daran ist eine Gesetzeslücke der Regierung. Dabei geht es um Heimbewohner, die Sozialhilfe beziehen aber keine Pflegestufe oder Pflegestufe 0 haben und somit weitgehend selbstständig leben. Intention des Gesetzgebers sei, diesen Personenkreis in Zukunft ambulant oder in anderen Wohnformen zu versorgen. Fälle wie Maria Back, die bereits seit Jahren im Heim untergebracht sind, sorgen deshalb bei der Umstellung für Probleme. Der Geschäftsführer des Heims äußert sich aber zuversichtlich, dass der Gesetzgeber eine Lösung findet. "Dass jemand auf der Straße landet, wird nicht passieren", sagt er.