Sind die Kommunen im Kreis Kissingen gegen Starkregen gewappnet?
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Mittwoch, 27. Juli 2016
Im Landkreis gab es heuer bereits 82 Einsätze nach Unwettern. Aus Sicht des Wasserwirtschaftsamtes sind die Kanäle aber meist ausreichend dimensioniert.
Nachmittags gegen 16 Uhr: Eva Schwab kocht Kaffee, als dunkle Wolken aufziehen. "Ich habe mir erst gar nichts dabei gedacht", erzählt die Wollbacherin. Eine halbe Stunde später steht sie im Keller knöcheltief im Wasser. "Da kam das Wasser raus", sagt sie und zeigt auf den kleinen Ablauf vor der Kellertür. Selbst mit Helfern sei nicht zu verhindern gewesen, dass das Wasser durch die Türritzen herein strömte und den Keller unter Wasser setzte. Eineinhalb Stunden später war der Spuk vorbei: "Gegen 18 Uhr hatten wir das meiste Wasser wieder raus", sagt Eva Schwab. "Wir sind noch halbwegs glimpflich davon gekommen."
Die Schwabs haben Fliesen im Keller, mit Trockengeräten ziehen sie nun die Feuchtigkeit aus den Räumen. Bei den Nachbarn wirft der Laminat-Boden Wellen und muss entsorgt werden. Mehrere Häuser in der Straße "Am Schubertsgarten" sind betroffen. "Wir sind auf dem Berg abgesoffen", nimmt es Eva Schwab mit Galgenhumor. Im Unterdorf war es schlimmer (siehe). Für Eva Schwab steht der Grund fest: "Das liegt eindeutig am Kanal", verweist sie auf immer neue Baugebiete oberhalb ihres Hauses: Austern- und Tulpenweg sowie der gemeindliche Bauhof seien neu dazu gekommen, der Kanal wurde über die Jahre nicht erneuert.
"Wir werden uns das genau anschauen", verspricht der Burkardrother Bürgermeister Waldemar Bug (ödp), der gleich nach dem Starkregen in Wollbach war. "Was in Jahrzehnten falsch gemacht wurde, kann man nicht so schnell beheben." Bereits vor 20 Jahren habe er die Förderung von Zisternen gefordert. Die gibt es heute, nach achtjähriger Amtszeit Bugs als Bürgermeister, immer noch nicht direkt, aber über die gesplittete Abwassergebühr bestehe ein Anreiz: Wer versiegelte Flächen an eine Zisterne anschließt, deren Überlauf auf dem Grundstück versickert, spart sich 17 Cent pro Quadratmeter. "Die Problemstellen sind uns bekannt", berichtet Bug. Die Gemeinde habe ein Ingenieurbüro beauftragt, aber: "Es bringt nichts, wenn wir jetzt Hals über Kopf neue Rohre reinlegen, aber weiter unten machen wir ein neues Problem auf."
40 Prozent mehr als im Vorjahr
Wollbach ist kein Einzelfall: Laut der Integrierten Leitstelle (ILS) Schweinfurt gab es heuer bereits 82 unwetter-bedingte Einsätze im Landkreis Bad Kissingen, im gleichen Zeitraum der Vorjahre waren es einmal 58 und einmal 59. Schwerpunkte waren laut ILS-Chef Thomas Schlereth Zeitlofs, Burkardroth, Bad Brückenau und Bad Bocklet. Insgesamt gebe es bei Einsätzen nach Unwettern starke statistische Schwankungen. Die Gesamtzahlen der Unwettereinsätze im gesamten Gebiet der ILS Schweinfurt liegen heuer bislang hinter denen des Jahres 2015. "Letztes Jahr hatten wir einen extrem trockenen Sommer", verweist Kreisbrandrat Benno Metz darauf, dass heuer die Feuerwehren durch höhere Niederschlagsmengen mehr gefordert seien. Viele Wehren seien mit Tauchpumpen und Wassersaugern ausgestattet, um Wasser aus Kellern zu bekommen. "Wenn's die Feuerwehr vor Ort nicht kann, wird die Nachbarwehr geholt", sagt Metz. Da meist kein Menschenleben bedroht ist, sei es den Kommunen überlassen, ob sie die Kosten verrechnen. "Aber meist haben die Menschen ja eh schon einen großen Sachschaden."
"In den letzten Wochen hatten wir signifikante Stark-Niederschläge", zieht Uwe Seidl, stellvertretender Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Bad Kissingen, Bilanz. Lokal begrenzt habe es bis zu 60 Liter pro Quadratmeter geregnet. "Für diese Wassermengen kann man keinen Kanal bauen." Während bei Baumaßnahmen an Gewässern ein hundertjähriges Hochwasser zu Grunde gelegt wird, dürfen Kanäle in Baugebieten im Schnitt alle zwei Jahre überlastet sein. Eine Umfrage unter den 26 Kommunen im Landkreis hat ergeben, dass die meisten Entwässerungsanlagen diese Vorgaben mehr als erfüllen.
Bis zu 40 Liter pro Quadratmeter fielen am 5. Juni innerhalb von 20 Minuten in Nüdlingen. Mehrere Keller und Garagen wurden überflutet, aus den Äckern strömte Wasser in den Ort. "Die Kanäle sind ausgelegt für den normalen Niederschlag", betont der Nüdlinger Bürgermeister Harald Hofmann. Solch extreme Niederschläge könne das Kanalnetz nicht fassen. 2015 sei ein sogenannter Bergeinlauf und im Riedweg ein zusätzliches Regenüberlaufbecken gebaut worden. Für die Sanierung der Ortsdurchfahrt seien neue hydraulische Berechnungen geplant, bei neuen Baugebieten gebe es bereits Gräben und Regenrückhaltebecken.
Wenn Kommunen neue Bau- oder Gewerbegebiete ausweisen, ist das Wasserwirtschaftsamt automatisch als so genannter Träger öffentlicher Belange beteiligt. "Uns ist zum Beispiel wichtig, dass es rund um Baugebiete Gräben gibt, um Oberflächenwasser direkt in den Vorfluter abzuleiten", berichtet der stellvertretende Leiter Uwe Seidl. Zudem bestehe die Behörde im Regelfall auf ein Trennsystem, aber es gibt auch Ausnahmen: In Ebenhausen zum Beispiel wird demnächst ein Baugebiet mit einem Mischkanal erschlossen, weil es wegen der Höhen und des karstigen Bodens nicht anders möglich war.
Straßen tiefer als Grundstücke
Zudem gebe es auch immer wieder lokale Probleme: Ein Baugebiet unterhalb eines Hangs mit Mais-Monokultur etwa sei eine große Gefahr. Wichtig sei auch, dass Straßen grundsätzlich tiefer liegen als die Grundstücke, damit kein Wasser in die Häuser laufe. Wenn es wirklich Überschwemmungen gebe, sei auch ein geplanter Ablauf in einen Bach oder Graben hilfreich. Zudem empfiehlt das Wasserwirtschaftsamt, dass Gemeinden eine Versickerung von Oberflächenwasser auf den Grundstücken fördere. Insgesamt hätten die Kommunen das Thema jedoch auf dem Schirm: "Die meisten Gemeinden haben ihre Kanäle ausreichend bemessen."Die Kanalisation in Bad Kissingen wird laut Stadt ständig hydraulisch überprüft. Besonders intensiv sei aktuell die Beschäftigung mit dem Innenstadtbereich: Für die Erneuerung der Fußgängerzone laufe seit Jahren die Vorbereitung, auch wegen des Heilquellenschutzes. Letzte große Maßnahme war die von Hessing-Straße/Maxstraße, demnächst stehen Fußgängerzone und Erhardstraße an.
"Die Abwasserentsorgung in Bad Brückenau wurde vor kurzem überrechnet. Hierbei wurden alle versiegelten Flächen sowie neue und geplante Baugebiete mit einbezogen", berichtet der Bad Brückenauer Stadtwerke-Chef Günter Schneider. Handlungsbedarf bestehe keiner. Die Stadtwerke haben in den vergangenen Jahren rund zehn Millionen Euro in Rückhaltebecken und Stauraumkanäle investiert. In der Kissinger Straße wird aktuell der Kanal erneuert, weil das Staatliche Bauamt die Bundesstraße ausbaut.
Neue Bemessungsregeln
In Oberthulba wurden Mitte der 1990er Jahre neue Bemessungsregeln eingeführt. Die seitdem erneuerten Kanäle etwa in Hetzlos, Frankenbrunn, Reith, Hassenbach oder Oberthulba sind laut Gemeinde bereits größer dimensioniert. In Neubaugebieten wie dem Baugebiet Thulba und dem Gewerbegebiet Reith werde das Niederschlagswasser getrennt gefasst. Eine Schmutzfrachtberechnung habe vor kurzem ergeben, dass auch die Stauraumkanäle und die Regenüberlaufbecken ausreichend sind. Der größte Teil der Oberthulbaer Gemeindeteile ist an die Kläranlage Hammelburg angeschlossen, nur Schlimpfhof und Wittershausen haben eigene Lösungen. An Kanalbau stehen Maßnahmen in Oberthulba (Obere und Untere Ecke) und Thulba (Hinter der Mauer) an.
Getrennte Systeme, eine Gebühr
Mit 93 Quadratkilometern hat Münnerstadt die größte Gemeindefläche im Kreis. Deshalb gibt es auch viele unterschiedliche Lösungen: Der Osten ist an den Abwasserverband Obere Lauer angeschlossen, zudem gibt es eigene Kläranlagen. "Wir haben trotzdem einheitliche Gebühren", betont Bürgermeister Helmut Blank, aber noch nicht gesplittet: "Sobald ein Bürger klagt, müssten wir da natürlich reagieren", ist Blank klar, schließlich war er vorher Geschäftsführer der Kläranlage Geldersheim und der Rhön-Maintal-Gruppe. Deshalb kenne er auch die Diskussion, dass Fremdwasser zwar reduziert werden soll, aber andererseits auch die Kanäle spült.Keine Probleme bei Starkregen gab es in den vergangenen Jahren nach Angaben der Gemeinden unter anderem in Oerlenbach, Ramsthal, Sulzthal, Euerdorf, Geroda, Maßbach, Rannungen, Thundorf, Motten und Oberleichtersbach.
In Euerdorf werden ab 2017 die Kanäle in der Siedlung "Breet" erneuert, in Ebenhausen investiert der Abwasserzweckverband Oberes Werntal 300 000 Euro für den Kanalbau und den Anschluss des Baugebietes westlich der Ziegelei. Kanalbauarbeiten stehen zudem in der Steinacher Gartenstraße, am Aschacher Kreisverkehr, in der Kissinger Straße in Fuchsstadt, in Aura und in der Schönderlinger Dorfstraße an. Neue Rückhaltebecken sollen in Ramsthal im Zuge des Baus einer Gemeinschaftskläranlage entstehen.
Trennsystem Ein flächendeckendes Trennsystem hat im Landkreis lediglich die Gemeinde Euerdorf, in anderen Kommunen wird in einzelnen Bereichen, meist in Neubaugebieten, das Oberflächenwasser getrennt gesammelt.
Gesplittet Mehrere Gemeinden rechnen die Kosten für die Ableitung des Niederschlagswassers nach dem so genannten Gebietsabflussbeiwert-Modell ab. In Fuchsstadt fallen neben den Gebühren auf Grundlage des Frischwasserverbrauchs neun Cent pro Quadratmeter versiegelter Fläche an, in Ramsthal zehn Cent, in Hammelburg elf Cent, in Elfershausen und Sulzthal 13 Cent, in Burkardroth 17 Cent, in Wartmannsroth 19 Cent, in Euerdorf 21 Cent, in Bad Kissingen 26 Cent, in Oerlenbach 30 Cent und in Bad Brückenau 44 Cent.
Nicht gesplittet Bislang keine gesplittete Abwassergebühr gibt es in Münnerstadt, Schondra, Motten, Wildflecken, Oberthulba, Oberleichtersbach, Geroda, Maßbach, Aura, Zeitlofs und Thundorf. Rannungen führt ab 2017 die gesplittete Abwassergebühr ein.