Sie tanzt Musik für die Musiker
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 27. Juni 2022
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks brillierte unter der Leitung von Joana Mallwitz.
Schon bevor der erste Ton erklang, das Konzert begann, gab's einen Grund zu größter Freude: Im Max-Littmann-Saal drängelte sich das Publikum so sehr, dass auch im seit Langem mal wieder geöffneten Saal auch die hinterste Ecke noch für zusätzliche Stühle genutzt werden musste. Das war ein Anblick, den es auch vor Corona noch nicht in dieser Heftigkeit gegeben hatte. Das Angebot war nach den Pandemiezeiten der Entwöhnung zu verlockend: das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Joana Mallwitz und die Geigerin Janine Jansen.
Zum Glück haben wir uns mittlerweile - zumindest die meisten von uns (hoffentlich) daran gewöhnt, dass auch Frauen am Dirigentenpult stehen, dass sie genauso gut oder schlecht sind wie ihre männlichen Kollegen, die sich mittlerweile auch damit abgefunden haben, dass sie ihren unumstrittenen Erbhof verloren haben. Dieses Diskussionsfass muss man zum Glück nicht mehr aufmachen (so gesehen war auch der Satz schon überflüssig).
Aber über Joana Mallwitz würde man auch reden, wenn sie ein Mann wäre, weil sie einen sehr individuellen Dirigierstil hat. Man stelle sich im Vergleich doch nur einmal ihren - offiziell bestallten - Amtsvorgänger beim BRSO, Lorin Maazel, vor. Der schritt, ohne eine Miene zu verziehen, zum Pult, stellte sich möglichst senkrecht in die Mitte, winkelte die Arme an, drückte die Ellenbogen an den Oberkörper und bewegte ab dieser Sekunde nur noch die Handgelenke. Wer das für typisch dirigentisch hält, muss völlig umdenken.
Im Dirigieren Geschichten erzählen
Für Joana Mallwitz ist Dirigieren - nein, der Begriff "Rhythmische Gymnastik" ist schon besetzt und würde auch viel zu kurz greifen - für sie ist nie nur ein Reproduzieren von Notentexten, sondern es ist ein Geschichtenerzählen, ein Umsetzen von komponierten Emotionen in sicht- und vermittelbare Bewegungen. Sie tanzt Musik für die Musiker. Sie hat Dirigieren offenbar nicht nur bei Martin Brauß und Eiji Oue in Hannover, sondern auch bei Mary Wigman studiert.
Für das Orchester ist dieses Tanzen auf die Musiker zu eine feine Sache, denn sie wissen, dass sie gemeint sind. Joana Mallwitz ist eine Perfektionistin, sie kümmert sich um - fast - jeden Einsatz, um jede Änderung der Tempi, des Rhythmus, der Klangfarben, der Stimmungen und übersetzt sie in ablesbare Bewegungen. So kann sich jeder bestens betreut fühlen und hat seinen Kopf freier für die Gestaltung seines Spiels. Aber er muss sich auch beobachtet fühlen.
Das ist vermutlich ein Grund, warum die Orchester, die Joana Mallwitz 2014 in Erfurt und 2018 in Nürnberg übernommen hat, so schnell so viel besser geworden sind, warum so viele Orchester sie einladen, warum sie 2020 die erste Dirigentin bei den Salzburger Festspielen (Mozarts "Così") war. Nächsten Sommer wechselt sie als GMD zum Konzerthausorchester nach Berlin. Da gehört sie auch hin.
Messerscharfe Konturen
Wer ihre Ansprüche an die Musik und die Musiker kennt, der konnte nicht überrascht sein, wie überraschend gut Richard Strauss' "Till Eulenspiegels lustige Streiche" waren. Mit glasklaren Farben, messerscharfen Konturen und mitreißenden Rhythmen erzählte sie die durchaus brutale Geschichte dieses schelmischen Narren, aber auch den Witz der Musik. Allein schon die differenzierte Behandlung des Eulenspiegel-Motivs in der Klarinette, das immer kläglicher wird, bis er von den empörten Bürgern aufgeknüpft wird. Ein wunderbarer Konzerteinstieg.