Druckartikel: Sekundenschnell von Null auf Hundert

Sekundenschnell von Null auf Hundert


Autor: Klaus Werner

Bad Bocklet, Sonntag, 07. Sept. 2014

Michl Müller hatte mit seinem neuem Programm "Ausfahrt freihalten" Premiere in Bad Bocklet. Der Aufwand zeigt: Michl Müller ist im Comedy-Olymp angekommen.


"Ausfahrt freihalten" prangt in großen Lettern über der Bühne des großen Kursaals in Bad Bocklet. Darunter das Konterfei von Michl Müller, und auf der Bühne - neben der mittlerweile notwendigen Sound- und Lichttechnik - größere Würfel, die zur Illumination der Lieder dienen. Im Saal knapp 300 "Hardcore-Fans", die sich als erste das neue Programm des Garitzer Kabarettisten reinziehen wollen.

Der Aufwand zeigt: Michl Müller ist im Comedy-Olymp angekommen. Die Bühnen sind größer, die Leute strömen landesweit zu seinen Auftritten, die Eintrittspreise spiegeln seinen Marktwert wider, das Merchandising funktioniert über sein "Dreggsagg"-Motiv mit T-Shirts, Schlüsselanhänger und vielem mehr. Das heißt aber auch, dass für die Auftritte des im Alltag und auf der Bühne sehr authentisch wirkenden Kabarettisten dieses Show-Ambiente mit Stimmen aus dem Off und weiterem Schnickschnack mittlerweile unerlässlich ist.

Vorbei sind die Zeiten, als ein Mikrophon, ein Mischpult, vier Lautsprecher und zwei Schweinwerfer genügten. Geblieben ist dagegen der Arbeiter auf der Bühne, der innerhalb von Sekunden von Null auf Hundert beschleunigt und mit seiner Energie die Besucher sofort in seinen Bann zieht. Mittlerweile wird jede Bühne von Michl Müller mit seiner dynamischen Präsenz ausgefüllt; er ist immer in Bewegung, geht nach links und rechts, mal ganz an den Bühnenrand, mal in den Hintergrund oder unterhält während seiner Lieder mit einer eigenwilligen Choreographie, die ihn selbst zum Schmunzeln bringt.

Rhythmus und schöner Refrain

Schon nach wenigen Minuten glitzern Schweißperlen auf seiner Stirn - und die kommen nicht nur von den tropischen Temperaturen, die die Scheinwerfer erzeugen. Diese Authentizität ist ein Teil seines Erfolgsrezeptes, das im Übrigen ergänzt wird von seinem unerschöpflichen Mitteilungsbedürfnis, das sich in einer schier endlosen Wortflut zu allen möglichen Ereignissen äußert, und seinen eingängigen Liedchen, die eher mit Rhythmus und schönem Refrain als mit Liedermacher-Qualitäten glänzen.

So ist auch das "neue Programm" eigentlich nichts wirklich Neues, sondern eine Fortführung seines Stils getreu nach dem Computer-Rezept: "never change a running system". Mit dem Programmtitel "Ausfahrt freihalten" hält sich Michl Müller dementsprechend alles offen, wobei sein Schwerpunkt beim Aufregen, beim Ärgern liegt. Damit kann er den Leuten aufs Maul schauen und nach deren Maul quasseln.

Aufgeregt wird sich über Parksünder, Rentner als Verkehrswächter, Bushido-Anhänger mit Hosen auf Halbmast, Abhörskandal unter Freunden, Putin als Smoothie-Trinker, die Krisengebiete oder die Politiker jeder Coleur. Mal bleibt er bei oberflächlichen Stichworten oder zynischen Bemerkungen, mal geht er tiefer in die Thematik - so zum Beispiel bei seiner Persiflage zur Eltern-Kinder-Spielzeit, in der er zur allgemeinen Ergötzung das "Sandessen" von früher mit der wohlbehüteten Spielplatz-Atmosphäre von jetzt vergleicht. Dafür gebraucht er dann Volkes derbe Wortwahl, die er mit entsprechender Grimasse unterlegt.

Seltener nutzt er das Florett für seine satirischen Spitzen, eher schon das Schwert und gelegentlich das Fallbeil, wenn er ein Urteil über Ärzte, Piloten, die Gerichtssprecherin zum Hoeneß-Prozess oder Romantikhotels als Abriss-Burg in der Pampa fällt.

Alltagsszenen im Blick

Auch im neuen Programm setzt er gezielt Alltagsszenen ein, in denen sich der Zuschauer (oder seine Ehefrau, seinen Nachbarn, den Promi) wiedererkennt beziehungsweise, wo er mitreden kann. Beispielsweise beim Thema "KiTa", weil es besser für die Bildung der Kinder ist, damit die schon mit vier Jahren die Wurzel aus 37 ziehen können, oder beim Thema "versexte Gesellschaft", wo die Tupper-Partys von Dessous-Dildo-Partys abgelöst werden, oder dem grassierenden iPad-Wahn. Gerade letzterem widmet Michl Müller fast den gesamten zweiten Teil seines Programms, in dem er auch Holger und Frank als Alter Ego auferstehen lässt.

Genussvoll zelebriert er, wie mittlerweile über dieses kleine technische Wunderwerk mit Apps und Bewertungsportalen und Buchungsmöglichkeiten unserer Leben beeinflusst wird. Dabei kommt auch die ganze Schizophrenie zum Ausdruck, wenn er Frank ein Foto eines "Wartezimmer-Patienten" auf Facebook postet und dieses Foto innerhalb von Minuten 400 Freunde mit "Gefällt mir" hat. Auch die Reiseplanung nach La Gomera wird dank des iPads minutiös nachvollzogen, wobei die Irrungen und Wirrungen für herzhaftes Gelächter sorgen.

"Man muss sich aufregen"

Eingeflochten in den zweieinhalbstündigen Auftritt sind sechs neue Lieder, die Michl Müller zwar als "Protest-Songs" entsprechend seinem Motto "Man muss sich aufregen" ankündigt. Herausgekommen sind aber Mitklatsch-Stücke nach dem Stil von Santiano, von Andrea Berg und im Reggae-Style, die sich mal mit Zwieblplootz und Federweißer, mal mit schönen Menschen, mal mit spätem Hunger und mit der Erkenntnis auseinandersetzen: "Das war wieder kein Protest-Lied wie von Konstantin Wecker." Nach einem philosophisch-nachdenklichem Schluss-Satz kommt eine Liedzugabe, die mit "Rock'n'Rhöner" und einem Medley seiner bekanntesten Stücke die Gäste nochmals mitreißt.