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Seit hundert Jahren Garitzerin


Autor: Sigismund von Dobschütz

Bad Kissingen, Montag, 12. Mai 2014

Hedwig Holzheimer trinkt auch heute noch gerne ihren täglichen Schoppen Wein. Allerdings mag sie nur Pfälzer und keinen Frankenwein. Nur Hören kann sie nicht mehr so gut wie früher.
Die Garitzerin Hedwig Holzheimer feierte am Montag ihren 100. Geburtstag.  Foto: Sigismund von Dobschütz


Garitz — "Hundert Jahre Garitz" könnte man die Biografie von Hedwig Holzheimer überschreiben. Vor hundert Jahren wurde sie vier Monate vor Beginn des Ersten Weltkriegs in Garitz geboren, am Montag feierte sie im Garitzer Seniorenheim "Kissinger Sonne" ihren 100. Geburtstag. Aber in Bad Kissingen sei sie auch oft gewesen, scherzt die Seniorin mit verschmitztem Lächeln.
Mit dem Hören hat sie allerdings inzwischen erhebliche Schwierigkeiten.


Ein paar Nachbarn von früher und ihr Großneffe, der ihr kürzlich als Betreuer an die Seite gestellt wurde, sind zum Geburtstagskaffee in die Neulandstraße gekommen, um mit ihr den 100. zu feiern. "Ich bin doch schon viel älter", lächelt die Geehrte.
Nach 100 Jahren liegt etliches im Innersten vergraben. An vieles kann sich Hedwig Holzheimer nicht mehr so recht erinnern, manches bringt sie durcheinander.
Selbst ihre Eltern verblassen in der Erinnerung. Der Vater ist ohnehin bald nach ihrer Geburt im Ersten Weltkrieg gefallen. Die Mutter musste die kleine Hedwig Marx und die drei älteren Geschwister mit einer kümmerlichen Kriegsrente durch den Alltag bringen. Nach der Volksschule in Garitz sollte Hedwig eigentlich auf die Oberschule. "Ich mach's nicht!", setzte sich Hedwig durch. "Sie ist sehr durchsetzungsfähig und willensstark", bestätigen ihre Geburtstagsgäste.
Mit dem Hochdeutschen hatte Hedwig so ihre Schwierigkeiten. Doch später musste sie feststellen, dass man auch in der Lehre den Garitzer Dialekt vermeiden sollte. Ihre Ausbildung machte sie bei einer Modistin - natürlich in Garitz.
Ein paar Jahre später heiratete sie den aus Schmalwasser stammenden Alfons Holzheimer, einen "Pillendreher" bei der Firma Boxberger. Drei Jahre später kam Sohn Bernd zur Welt, ihr einziges Kind. Ehemann Alfons starb vor knapp 25 Jahren. So genau weiß Hedwig es heute nicht mehr.
Mit ihm und Bernd lebte sie seit den 1960er Jahren in der Rinnerfeldstraße - "auf der Garitzer Seite des Altenbergs". Sohn Bernd blieb bei ihr. Bernd Holzheimer war Geschäftstellenleiter der AOK Bad Kissingen. Viele kennen ihn noch als Vorstandsmitglied im Schützenverein und als Till aus den Faschingssitzungen des BTC Garitz. Als er im vergangenen Jahr starb, blieb Hedwig Holzheimer 99-jährig allein im Haus zurück. Für sie schien dies selbstverständlich zu sein. "Sie war sehr willensstark", heißt es wieder.

Zeitung und "Sturm der Liebe"

Wenn er für sie einkaufen wollte und nach ihren Wünschen fragte, "hatte sie bis zuletzt alles genau im Kopf", erinnert sich Nachbar Norbert Kainzner. "Früher war sie immer gern im Garten und hat regelmäßig aus Zwetschgen und Äpfeln ihren Schnaps gebrannt." Einem täglichen Schoppen Wein ist Hedwig Holzheimer auch nicht abgeneigt. "Sie trinkt aber nur Pfälzer, keinen Frankenwein", verrät die Geburtstagsrunde ein Geheimnis.
Ob der regelmäßige Schnaps- und Weinkonsum der Grund für ihr hohes Alter ist? Wohl eher nicht. "Der Bruder wurde auch 97 Jahre alt", erinnert sich jemand aus der Runde. Es liegt wohl doch in der Familie.
Heute vertreibt sich die Hundertjährige im Seniorenheim "Kissinger Sonne", das seit vier Monaten ihr neues Zuhause ist, die Zeit mit der Tageszeitung und mit der TV-Serie "Sturm der Liebe". Nur am Montag war es anders: Die Mitbewohner sangen ihr ein Ständchen und ihr Geburtstagstisch wurde mit einer Torte geschmückt. Die bunte Unterhaltung am Tisch bekam Hedwig Holzheimer akustisch nicht so recht mit. Auf den Scherz, man habe üble Geschichten über sie erzählt, kann sie aber nur lachen: "Davor hab‘ ich keine Angst." Eine echte Garitzerin kann eben nichts schrecken.