Sein zweites Wackersdorf?
Autor: Günter Flegel
Bergrheinfeld, Donnerstag, 02. Mai 2019
Vor 30 Jahren demonstrierte Ulrich Werner gegen die Atom-Wiederaufarbeitungsanlage in der Oberpfalz. Heute legt sich der 55-Jährige beim Bau neuer Stromleitungen quer.
Ein Wort macht die Runde: Wackersdorf. Das, was vor 30 Jahren in der Oberpfalz gelungen ist, wollen heute auch die Unterfranken schaffen: sich gegen die Staatsmacht stellen, Südlink, die "Monster"-Stromtrasse aus dem Norden in den Süden, auf der Zielgeraden stoppen.
900 Kilometer lang ist die Schneise, die die Stromnetzbetreiber Tennet (Sitz in Bayreuth) und TransnetBW (Stuttgart) durchs Land ziehen wollen. Wie an einer Perlenkette reihen sich an ihr Bürgerinitiativen aneinander. Mehr als 40 Gruppen, die Südlink stoppen wollen, zählt Guntram Ziepel aus Fulda, der Sprecher des Bundesverbandes gegen Südlink. "Es werden noch mehr."
Leben unter Masten
Zum Beispiel in Bergrheinfeld. Dort, etwa auf halbem Weg zwischen Wilster bei Hamburg, wo Südlink startet, und Großgartach bei Stuttgart, dem Endpunkt, legen sich die Bürger quer. Einer von ihnen ist Norbert Kolb. Der Landwirt hat sich an vieles gewöhnt: auch an den Anblick des Atomkraftwerkes Grafenrheinfeld im Nachbarort, stillgelegt, aber immer noch irgendwie bedrohlich. Und an die (gezählt) 170 Strommasten, die rund um Bergrheinfeld wachsen. "Ich habe da Felder und fahre oft unter den Leitungen durch. Das kann doch nicht gesund sein", sagt er.
Kolb hat sich eben zum Vorsitzenden des Vereins "Bergrheinfeld sagt Nein" wählen lassen. 28 Gründungsmitglieder zählt die Bürgerinitiative, aber Kolb ist sicher, dass es bald viel mehr sein werden. Denn: "Die Verwirklichung von Südlink tritt in die heiße Phase. Wenn man etwas tun will, dann jetzt."
Lässt sich die Stromtrasse noch stoppen oder wenigstens verschieben? An Letzteres denkt Ulrich Werner nicht. "Wir handeln nicht nach dem Floriansprinzip. Die Trasse soll nicht irgendwo anders, sie soll gar nicht gebaut werden", sagt der 55-Jährige, der seit zwei Jahren Bürgermeister der 5000-Seelen-Gemeinde vor den Toren Schweinfurts ist. Werner ist CSU-Mitglied. Im Widerstand gegen die Trasse ist er Teil einer ganz großen Koalition in der Region, auch Grüne und Linke sehen das gigantische Bauprojekt kritisch.
Nicht gegen, sondern anders
Ist der Bürgermeister einer Gemeinde im Schatten eines Atomkraftwerkes also gegen die Energiewende hin zu "erneuerbarem" Strom? "Ganz im Gegenteil", sagt Werner. Vor 30 Jahren, mit Anfang 20, habe er in Wackersdorf gegen den "WAAhnsinn" demonstriert, gegen die geplante Aufarbeitungsanlage für Atommüll.
"Das kam aus meinem christlichen Selbstverständnis, es ging mir um die Bewahrung der Schöpfung und um ein Nein gegen eine Technologie, die der Mensch niemals ganz beherrschen kann", sagt Werner. Damals, als Wackersdorf wackelte und schließlich 1989 fiel, drei Jahre nach Tschernobyl, sei das der Anfang vom Ende der Kernkraft in Deutschland gewesen.