Sechs weitere Mahnmale für Kissinger Nazi-Opfer
Autor: Edgar Bartl
Bad Kissingen, Freitag, 13. Sept. 2013
Sechs weitere Stolpersteine erinnern jetzt an Bad Kissinger, die im Dritten Reich deportiert und ermordet worden sind. Darunter ist auch ein Zeuge Jehova aus dem Stadtteil Garitz.
Für die Mädchen und Jungen der 10b der Realschule war es kein Unterricht wie jeder andere, sondern eher eine Kombination aus Wandertag und Geschichtsstunde. Denn sie waren an der sechsten Verlegung von Stolpersteinen durch den Kölner Künstler Gunter Demnig beteiligt.
Dafür hatten sie zusammen mit Lehrer Andreas Reuter in einem Arbeitskreis die Biografien der Nazi-Opfer erarbeitet, die sie verlesen durften. Domink Kiesel hat das etwas gegeben: "Wir wissen jetzt mehr über die Geschichte Bad Kissingens und seiner früheren Bewohner."
Dabei soll es nicht bleiben: Andreas Reuter versicherte, dass die Jugendlichen seit der ersten Verlegung mit dabei waren. Es handele sich um ein langfristiges Engagement der Schule.
Diesmal gab es eine doppelte Premiere: Erstmals wurde an ein Nazi-Opfer aus einem Stadtteil erinnert, und der Arbeiter Konrad Kaiser war kein Jude, sondern Zeuge Jehovas. Er wohnte in der Jahnstraße 35. Gekommen waren auch zwei vierte Klassen der Henneberg-Grundschule. Sie untermalten die Verlegung mit israelischen Tänzen.
Ermordet in Mauthausn
Anwesend war auch Kaisers Enkel Peter Kaiser (70). Er ist katholisch und hat keine Erinnerung mehr an seinen Opa.
Konrad Kaiser war Bäcker und wurde als "staatsfeindliches Element" 1937 ins KZ Dachau verschleppt. Das Bad Kissinger Bezirksamt bemühte sich vergeblich um seine Freilassung. 1939 wurde der "Bibelforscher" ins KZ Mauthausen bei Linz überstellt. Dort starb er am 27. März 1940 an Ruhr mit gleichzeitiger Herz- und Kreislaufschwäche, heißt es im Totenschein. Merkwürdig: Enkel Peter Kaiser erinnert sich, dass der Familie als einzige Hinterlassenschaft ein Pullover übergeben wurde. Und der wies gleich mehrere Schusslöcher auf.
Clarissa Müller und Hannah Hopf schilderten Konrad Kaisers Leben und Leidensweg.
Ex-Bürgermeister Horst Arand (CSU) wunderte sich: "Wir haben so viele Stadträte und kaum einer ist gekommen." Die SPD war mit Oberbürgermeister Kay Blankenburg, zwei Ratsdamen und der Abgeordneten Sabine Dittmar präsent.
Verschleppt nach Polen
Kulturreferent Peter Weidisch sagte, hinter der Verlegung der Stolpersteine in Bad Kissingen stehe eine Bürgerinitiative. Ausschließlich Paten und Sponsoren finanzierten alles.
Ziel sei es, Einzelschicksale sichtbar zu machen und sie so im Gedächtnis der Gesellschaft zu verankern, dass sie erhalten bleiben, sagte Oberbürgermeister Kay Blankenburg. Die Steine mit der Messing-Oberfläche erinnerten an die Zeit von 1933 bis 1945, die zu verblassen drohe. Noch wichtiger sei es, die Opfer der Statistik zu entreißen. Sie seien gewesen "so wie wir es heute sind: Bürger dieser Stadt und nichts anderes." Er zeigte sich glücklich, dass die Initiative nicht nachlasse, sondern nach wie vor Zulauf habe. Besonders dankte das Stadtoberhaupt der "übernächsten Generation", den Kindern der Henneberg-Grundschule. Er verwies auf einen besonderen Effekt der Stolpersteine: Wer die Aufschrift lesen will, müsse sich dazu vor den Nazi-Opfern verneigen.
Nächste Station, Kurhausstraße 37. Hier lebten der Unternehmer und Kurhausbetreiber Felix Gutmann und seine Frau Erna. Andreas Reuter und Dominik Kiesel erörterten deren Schicksal. Gutmann wurde 1938 für einige Tage nach Dachau verbracht. Er floh aber nicht ins Ausland. Am 24 April 1942 wurde er zusammen mit seiner Frau nach Krasnystaw bei Lublin verschleppt. Ort und Datum ihres Todes sind nicht bekannt.
Gunter Demnig berichtete von seiner Arbeit. Durch die Verlegungen seien schon Familien zusammengeführt worden. Einige seien aus Tasmanien und Honolulu angereist. Ein Norweger habe zu ihm gesagt, "schön, dass ein deutscher Künstler zu uns nach Norwegen gekommen ist - nach 70 Jahren". Die Aktionen gefallen aber nicht allen. Gunter Demnig nimmt es leicht: "Drei Morddrohungen in 13 Jahren, damit kann ich leben."
Vergast in Auschwitz
Er ist gegen Gedenktafeln an Hauswänden. 80 bis 90 Prozent der Eigentümer würden niemals zustimmen. Außer auf der Tafel stünde, "hier hat Albert Einstein übernachtet." Bei seinen Steinen, Demnig. "stolpert man mit dem Herzen und dem Kopf."
Drei Steine erinnern in der Kurhausstraße 10 an den Juwelier Simon Rosenau, dessen zweite Frau Paula und seinen Sohn aus erster Ehe, Sigmund. Marlies Walter verlas ihre Biografien. Die Rosenaus flohen 1933 nach Paris. Die deutsche Steuerbehörde beschlagnahmte ihr Vermögen und überzog sie mit einer Diffamierungskampagne. Nach der Besetzung Frankreichs suchte die Familie Schutz in Nizza. Paula und Hermann Rosenau wurden im Lager Drancy interniert, nach Ausch- witz verschleppt und wahrscheinlich dort sofort vergast.
Sigmund Rosenau, ebenfalls Juwelier, zog 1933 nach Paris. Er wurde am 7. Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert und dort 1944 ermordet. Der genaue Zeitpunkt ist unbekannt.
Geschichte Der Kölner Künstler Gunter Demnig wurde durch seine Stolperstein-Aktion bekannt. Er versieht Pflastersteine mit einer Messingplatte. Dort sind die wichtigsten Daten von Nazi-Opfern eingraviert. Verlegt werden sie vor deren letzten bekannten Wohnungen. Mit 40.000 Steinen in 750 Kommunen und in zehn europäischen Ländern hat er das weltweit größte dezentrale Mahnmal geschaffen.
2008 hat der Stadtrat von Bad Kissingen anlässlich des 70. Jahrestags der Pogromnacht mit großer Mehrheit beschlossen, an der Aktion Demnigs mitzuwirken. Die erste Verlegung hat am 19. Juni 2009 stattgefunden. Weitere 60 folgten bis jetzt; mit einer Ausnahme in der Kernstadt. Sie werden regelmäßig gereinigt. Die "Bad Kissinger Stolpersteine" sind eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern.