Schulprojekt in Kissingen: Spielen für Integration
Autor: Robert Wagner
Bad Kissingen, Dienstag, 24. Januar 2017
Wenn Kissinger Realschüler in der Sinnberg-Grundschule mit Migrantenkindern spielen, geht es um mehr als Deutsch lernen.
Bad KissingenMit leeren Augen blickt Isabella durch den Speisesaal der Sinnberg-Grundschule. Das Gesicht hat sie auf die Hände gestützt, die Stirn liegt in Falten. Ein Mädchen nimmt sie in den Arm. "Komm Isabella, spiel doch mit uns." Die anderen Kinder am Tisch stimmen mit ein: "Los, spiel mit!" Isabella will nicht so recht. "Lasst mich", sagt sie mit osteuropäischen Akzent und schaut auf den Boden. Wenig später spielt sie doch mit - und lacht ausgelassen.
Besuch von den Großen
Im Speisesaal der Sinnberg-Grundschule sitzen neben Isabella rund zwanzig weitere Kinder. Sie spielen Mensch ärger dich nicht und Tischfußball, malen und puzzeln gemeinsam. Doch einige der Kinder scheinen nicht so Recht ins Bild zu passen: Sie sind wesentlich älter als die anderen. Kein Wunder, sind sie doch keine Grundschüler, sondern Besucher von der staatlichen Realschule Bad Kissingen. Jeden Donnerstag kommen sie in ihrer Freizeit an die Grundschule, um mit den Jüngeren zu spielen und mit ihnen Deutsch zu lernen. Denn bei den Grundschülern handelt es sich um Kinder mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen stammen aus Flüchtlingsfamilien.
Die Realschule beteiligt sich am Schülernetzwerk "Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage". "Wir wollten diesen Begriff auch mit Inhalt füllen", erklärt die 16-jährige Alina. Seit knapp eineinhalb Jahren kommt sie fast jede Woche in die Grundschule. "Ich finde es wichtig, nicht nur an mich zu denken, sondern auch an die, die es schwerer haben", sagt die Neuntklässlerin.
Ähnlich sah das im Herbst 2015 auch Realschullehrerin Barbara Dichtl. Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise suchte sie nach einem Weg, um den neu angekommenen Kindern zu helfen - und auch ihren Schülern etwas beizubringen. "Ich wollte ihnen die Berührungsängste nehmen", erzählt die junge Lehrerin.
Hoher Migrantenanteil
So entstand die Idee des gemeinsamen Spielenachmittags mit der Grundschule. Schulleiter Karl-Heinz Deublein war sofort begeistert von der Idee. "Wir haben schon einige Projekte, bei denen ältere und jüngere Schüler zusammen sind", erzählt er. "Aber das ist das erste Projekt, bei dem Migrantenkinder im Mittelpunkt stehen." Auch wenn sich der Schulleiter über die "Farbe im Alltag" freut, so entstehen durch den hohen Migrantenanteil an der Schule auch neue Herausforderungen und Probleme. Schließlich haben mittlerweile über 50 Prozent der Grundschüler am Sinnberg Migrationshintergrund. Zwischen 20 und 30 Kinder stammen außerdem aus geflüchteten Familien.
Deutsch bleibt Fremdsprache
"Bei vielen Kindern ist die Verkehrssprache zuhause die Muttersprache der Eltern", erzählt Deublein. Die Deutschkenntnisse der Kinder seien dementsprechend begrenzt. Genau diese Kinder suchte Förderlehrerin Carmen Rumpel aus, damit sie am gemeinsamen Spielenachmittag teilnehmen. "Spielerisch und mit Spaß zu lernen ist viel einfacher, als beim Frontalunterricht zuzuhören", betont Martina Scheuernstuhl, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Dichtl die Kinder betreut.
Traumatische Erlebnisse
Doch bei der Aktion geht es um mehr als nur Sprache. "Viele der Kinder haben traumatische Erlebnisse hinter sich", sagt Rumpel. Krieg, Verfolgung, Flucht. "Unser Erfolg ist, dass diese Kinder sich hier sicher fühlen und aufblühen." Beispiel Isabella: "Sie war früher total zurückhaltend, hat sich nur isoliert", erzählt Rumpel. Auch wenn dieses Verhalten noch manchmal wiederkehrt, ist sie mittlerweile viel besser integriert: "Sie springt mit den anderen umher, spielt, lacht und geht auf die anderen Kinder zu." Barbara Dichtl stimmt ihrer Kollegin zu: "Der Muhammad ist auch so ein Fall. Früher hat er kein Wort gesagt, und jetzt treibt er alle an.""Ich kann die Kinder sehr gut verstehen", sagt die 13-jährige Kidist. Sie ist selbst erst vor zwei Jahren mit ihrer Familie aus Äthiopien nach Deutschland gekommen und weiß, was es heißt, fremd in einem Land zu sein. Nun will die Realschülerin den jüngeren Kindern helfen.
Spielen verlernt
Viele Kinder leben auch heute noch in sehr beengten Verhältnissen und hätten durch ihre traumatischen Erfahrungen verlernt, unbeschwert zu spielen, weiß Rumpel. "Das geht so weit, dass manche Kinder am Anfang nicht einmal wissen, was Gewinnen überhaupt heißt und nichts mit einem Würfel anfangen können." Insofern sei es besonders schön, zu beobachten, wie die Kinder auftauen und aufeinander zugehen. Dass es allen Spaß macht, sehe man auch daran, dass trotz des Altersunterschiedes sehr enge Beziehungen entstehen, sagt Dichtl. "Manche sind fast wie Geschwister." Nach eineinhalb Stunden ist der Spielenachmittag vorbei. Beim Aufräumen läuft Isabella zwischen den Kindern umher, umarmt eine Realschülerin. "Kommst du nächste Woche wieder?", fragt Isabella und lächelt. "Bitte!", sagt sie und hält den Kopf schief. Die Falten auf der Stirn und die Leere in den Augen sind verschwunden.