Schneeweiße Traumwelt statt blitzende Schwerter und Rüstungen
Autor: Gerhild Ahnert
Bad Kissingen, Mittwoch, 13. März 2019
Das Theater Hof gastierte mit Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" im Bad Kissinger Kurtheater und wurde vom Publikum gefeiert.
Wieso kommt ein Theaterintendant am Anfang des 21. Jahrhunderts auf die Idee, ein "Ritterschauspiel" zu inszenieren? Was für Schätze birgt Heinrich von Kleists "Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe", die uns im hochtechnisierten und global fokussierten 2019 interessieren könnten? Intendant Reinhardt Friese vom Theater Hof sah sie, indem er zurückging von dem, was das Stück im 19. Jahrhundert zu einem vielgespielten und bekannten machte.
Das Wunder der Liebe
Obwohl ein Femegericht auf der Bühne tagt, obwohl eine Burg abbrennt und Ritter mit klingenden Namen wie Friedrich Wetter, Graf vom Strahl oder der Rheingraf vom Stein nebst Knappen und Vasallen den Schauplatz bevölkern, sah man auf der Bühne alles andere als blitzende Schwerter und rasselnde Rüstungen. Vielmehr wurden die Zuschauer von Anfang an hineingesogen in eine Traumwelt, in der ein Cherub mit riesigen weißen Flügeln über die mühsame, aber mit einem Happy End gekrönte Entfaltung eines Wunders der Liebe wachte.
Ganz zart nahm einen das auf Herbert Buckmillers schneeweißer Bühne in den weißen Kostümen von Annette Mahldorf agierende Ensemble mit in die Welt der 15-jährigen Katharina, die am vorderen Bühnenrand lag, eine Spieluhr drehte, während der Chor unendlich leise und geheimnisvoll zu "Dream a little dream of me" aufforderte. Diesen Traum Käthchens galt es mitzuträumen, der ihr in der Silvesternacht Friedrich Wetter vom Strahl vorgaukelte und den sie als Omen nimmt. Auch dem Ritter, der doch eigentlich unerreichbar ist für die Tochter eines Heilbronner Waffenschmieds, ist Käthchen in derselben Nacht im Traum erschienen. Angeblich ist sie die für ihn bestimmte Tochter des Kaisers. Sie erkennt ihn, als er in die Schmiede des Vaters kommt, und heftet sich an ihn, ganz egal, wie sehr er sie abzuschütteln versucht und ihr Vater ihn anklagt, er habe sie mit Zauberei an sich gebunden.
Er lässt die lästige Stalkerin, die auch in seinem Pferdestall übernachtet, um ihm nahe zu sein, immer wieder zurückweisen. Aber als er in die Hände der bösartigen Kunigunde von Thurneck gerät, die ein aus künstlichen Teilen zusammengesetztes Sex-Objekt ist und ihn sich hörig macht und Käthchen durch Gift und eine fast unmöglich zu bestehende Feuerprobe zu töten versucht hat, gehen ihm die Augen auf, er erkennt Kunigundes Arglist und erkennt seine Liebe zu Käthchen. Aber heiraten kann er sie natürlich nur, als der Kaiser selbst gesteht, dass er sie anlässlich eines Festes in Heilbronn mit ihrer Mutter gezeugt hat. Nicht nur der Kaiser als Deus ex machina verhilft Kleists Geschichte zum Happy End, auch der Cherub, der ja eigentlich nur dafür sorgt, dass Käthchen unversehrt aus dem Feuer zurückkommt, wird in der Hofer Aufführung ständig aktiv und passt auf auf das reine, naive, völlig wehrlose junge Mädchen.
Legendenhaftes, Märchenhaftes, Unwahrscheinliches, Unglaubliches! Wie hält man damit ein Publikum im Cyber Age bei Laune? Wie bringt man es dazu, sich ohne Pause 110 Minuten lang Kleists wunderschön gedrechselte Sprache mit großer Konzentration anzuhören?Offenbar haben die Hofer da alles richtig gemacht. Denn sie schafften es, die märchen-, traumhafte Atmosphäre auf die Zuschauer zu übertragen, die Spannung auf den Ausgang dieser völlig unwahrscheinlichen Handlung nicht nur aufzubauen, sondern auch aufrecht zu erhalten bis zum Schluss.
Rhythmisierte Choreographie
Bewerkstelligt wurde das durch eine ausgefeilt rhythmisierte Choreographie, bei der alle ständig auf der Bühne waren, aber als Mitträumende mit weiß geschminktem Gesicht zu Boden sanken, sobald sie nicht ihre Rolle spielten, durch eine staunenswert präzise Beherrschung von Kleists Text und durch sehr abstrakte, durch Farben und Geräusche nur angedeutete Räume. Das alles entwickelte einen Sog, ein Kontinuum, das vorhielt bis zum abschließenden "Dream a little dream of me". Eine tolle Einrichtung des sperrigen Stücks durch Regisseur Friese, Dramaturg Thomas Schindler, Musikalische Gestaltung durch Franz Tröger und Licht- und Videogestaltung von Kilian Görl und Kristoffer Keudel.
Das 16-köpfige Ensemble blieb in einem trancehaften Reigen immer präsent, durch die kalkweißen Gesichter mussten sie Mimik durch Körpersprache und sprachliche Gestaltung ersetzen, wodurch sie trotzdem Individualität gewannen wie Philipp Brammer als machtbewusster Kaiser, Anja Stange als Gräfin Helena, Marco Stickel als Friedrichs gutherziger Knecht Gottschalk oder Volker Ringe als Käthchens ebenso bärbeißiger wie treusorgender Vater Theobald. Aline Adam war ein die Bühne mit bedachten Bewegungen dominierender Cherub.