Schloss Römershag bietet Wohnbereich für Demenzkranken
Autor: Ulrike Müller
Römershag, Freitag, 20. Sept. 2013
Die Diagnose Demenz ist für die Angehörigen ein Hammer, der das Leben auf den Kopf stellt. Die Pflege verlangt ihnen alles ab. Aber das muss nicht sein. Im Schloss Römershag gibt es einen neuen Wohnbereich für Demenzerkrankte.
Der mintgrüne Tunnel führt in eine andere Welt. Aber eigentlich ist es kein Tunnel, sondern ein Gang. Ein alte Frau schlurft hier entlang. Ihre Augen sind fröhlich, ihr Haar schlohweiß. "Na, Sie waren wohl mit ihrer Tochter spazieren?", fragt eine Besucherin. "Nein!", entfährt es der Frau entrüstet. "Ich habe keine Tochter." Hat sie doch.
Die Besucherin lässt sich nichts anmerken, aber innerlich zuckt sie zusammen.
Da ist sie wieder, die Diagnose, die ihr Leben verändert hat. Auch ihr Vater hat keine Tochter mehr. Sie ist jetzt seine Schwester. Oder seine Frau. Als er das aus voller Überzeugung gegenüber dem Arzt behauptete, hatte Ute von Landenberg Gewissheit. "Mein Vater hat Demenz."
Ein komplexes Krankheitsbild
"Demenz ist keine einheitliche Diagnose, sondern eine Gruppe von Krankheiten", erklärt Dr. Roland Feuls, Neurologe und Psychiater in der Psychiatrie Schloss Werneck. Einmal im Monat kommt er zur Visite ins Pflegeheim Schloss Römershag. 20 Patienten leben hier im neuen Wohnbereich für Demenz-Erkrankte. Es ist die Etage "Dreistelz", auf der alles in einem hellen Grün gehalten ist. Und in der die Türen nach draußen verschlossen sind.
"Wir haben den Wohnbereich zusammen mit Mitarbeitern und Angehörigen entwickelt", erzählt Robert Ranelli, Leiter vom Schloss Römershag. Fast vier Jahre lang wurde das Haus saniert.Am 14. November 2012 haben die Bewohner die neuen Räume bezogen. Hier ist angefangen von der Wandfarbe bis hin zum Frühstücks-Ritual alles auf die Bewohner abgestimmt.
"Ein Demenzkranker verliert geistige Fähigkeiten, die er einmal hatte", erklärt Feuls. Sein Alltagswissen, wie man ein Hemd zuknüpft zum Beispiel. Sein biografisches Wissen. Im "Dreistelz" lebt ein Ehepaar. Anfangs nahmen sich die Partner noch wahr. Inzwischen kennen sie sich nicht mehr. Am Schluss fehlt das Verständnis, die Signale des Körpers richtig zu deuten. Vielleicht ist es Hunger. Aber was ist ein Kühlschrank?
"Mit Ritualen knüpfen wir an das an, was noch da ist", erzählt Ranelli. Dann nimmt er seinen Border Colli Cico und setzt ihn behutsam auf das Bett eines Bewohners. Der Mann ist erst 66 Jahre alt. Und stirbt. "Demenz nimmt nicht Rücksicht auf das Alter", sagt der stellvertretende Pflegedienstleiter Frank Schaub leise. Der Mann hebt die Hand und krault lange den Nacken des Tieres. "Früher hat er selbst Hunde gehabt", erklärt Ranelli. Aber nur, weil das Personal das weiß, lässt es Cico zu dem Bewohner. Ranelli nennt das "biografische Arbeit".
An die Biografie anknüpfen
Wenn das Leben der Bewohner mehr und mehr verwischt, "sind wir dafür verantwortlich, diese Biografie ein Stück weit zu verinnerlichen", sagt Ranelli. Über dem Bett einiger Bewohner hängen Rahmen mit alten schwarz-weiß Fotografien und Stichworten aus ihrem Leben. Feuls erklärt das Prinzip: "Ein Mann war zum Beispiel früher Eisenbahner und liebte Jazz. Also hängen wir Bilder von einer Dampflock über seinem Bett auf und legen eine Jazz-CD in den Player". Auch die Angehörigen helfen bei der Suche nach solchen Anknüpfungspunkten.
Als die Demenz in ihr Leben trat, versuchte Ute von Landenberg erst einmal alles, um das allein zu stemmen. Ihr Vater lebte zwar in einem Heim, dort gab es aber keinen extra Bereich für Demenzerkrankte. Der alte Mann war noch sehr mobil und büchste regelmäßig aus. "Freiheitsentziehende Maßnahmen wollte ich nicht", sagt von Landenberg. Also hatte sie immer das Handy am Ohr. Manchmal sammelten Bekannte ihren Vater in der Stadt auf, ihre Schwester in München nahm eine Auszeit und betreute ihn rund um die Uhr. Zuletzt wurde das Risiko einfach zu groß.
"Den Verfall eines geliebten Menschen rund um die Uhr zu sehen, damit überfordern sich viele Angehörige", sagt von Landenberg heute. Seit zwei Jahren lebt ihr Vater im Schloss Römershag. Am rechten Handgelenk trägt er eine unauffällige Uhr. Wenn er sich damit einem der beiden Tore im Innenhof nähert, sperrt sich das Schloss automatisch.
Von Landenberg schätzt diese "Uhr". Und sie schätzt die Betreuung in Römershag. "Es geht ja bei der Zeit mit den Eltern nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität." Die Krankheit ist noch immer ein Hammer. Aber die Betreuung lässt ihr Raum zum Leben.