Druckartikel: Rentner (68) wegen 1,29 Euro vor Gericht

Rentner (68) wegen 1,29 Euro vor Gericht


Autor: Edgar Bartl

Bad Kissingen, Dienstag, 09. Juli 2013

Das Aufgebot war groß, die Beute eher nicht. Zwei Pfleger, zwei Wachtmeister, eine Protokollführerin, drei Juristen und ein Angeklagter. Erwin A. *) wurde vorgeworfen, in einem Supermarkt ein Fläschlein Jägermeister - Wert: 1,29 Euro - gestohlen zu haben.
Symbolbild. Foto: Archiv


Das Urteil des Amtsgerichts nach kurzem Prozess: Freispruch im Namen des Volkes, die Staatskasse trägt die Kosten. Das hatten Staatsanwältin und A.'s Verteidiger so beantragt. Denn A. ist wegen Demenz und Alkoholismus schuldunfähig. Das zu erkennen, hätte es keines Gutachtens eines Bezirkskrankenhauses gebraucht. Demschloss sich die souveräne Richterin "aus eigener Anschauung" an.

Der 68-Jährige ist geschieden und ein Fall fürs Pflegeheim, nicht

für die Justiz. Es handelt sich um eine menschliche Tragödie. In seinem Beruf scheint A. tüchtig gewesen zu sein, er soll sogar mehrere Patente halten.

Heute ist er körperlich und geistig ein Wrack. Er schlurft herein. "Bügeleisen-Gang" heißt das und ist ein Zeichen fortgeschrittener Alkoholkrankheit. A. bekommt überhaupt nicht mit, um was es eigentlich geht. Sein Verteidiger spricht für ihn, weil er der Verhandlung nicht folgen kann. Er stiert nur teilnahmslos Löcher in die Luft.

Noch vor wenigen Monaten war er quasi "Dauergast" in den Polizeimeldungen. In Geschäften und Gaststätten, sogar an der Tankstelle, hat er Hausverbot. Und weil er das oft ignoriert hat, beging er Hausfriedensbruch. Das ist genauso strafbar wie etliche Ladendiebstähle jeweils mit Mini-Beute. Mehrfach ist A. deshalb einschlägig vorbestraft.

Erst spät wurde erkannt, was viele ahnten: Dass A. für seine Taten nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Stellt sich die Frage, warum er angeklagt worden ist und warum eine solche Klage zugelassen wird.

A.*) Name des Angeklagten geändert, die Redaktion.