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Reaktionen Kreis Bad Kissingen: "Trump ist ein Brexit 2.0"


Autor: Ralf Ruppert, Benedikt Borst, Arkadius Guzy, Ulrike Müller

Bad Kissingen, Mittwoch, 09. November 2016

Wirtschaftsvertreter und Bürger mit Bezug in die USA sind schockiert vom Ergebnis. Betriebe hoffen, dass die Auswirkungen auf den Freihandel gering bleiben.
Foto: EPA/WILL OLIVER


Vielen Menschen in der Region verfolgten die US-Wahl gespannt. Dass Donald Trump sich gegen die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton durchsetzte und im Januar mächtigster Mann der Welt wird, wurde überwiegend geschockt zur Kenntnis genommen. "Als ich heute morgen um fünf Uhr am Handy in den Nachrichten gelesen habe, dass Trump vorne liegt, bin ich erst einmal in den Wald joggen gegangen", sagt Frank Böttcher, Vorstand der L+S AG.
Das Labor für

mikrobiologische und chemische Analytik mit Sitz in Großenbrach pflegt intensive Geschäftsbeziehungen in die Vereinigten Staaten. Rund zehn Prozent des Umsatzes werden dort erwirtschaftet. Dass Trump als erklärter Gegner von Freihandelsabkommen gilt, der sein Land abschotten möchte, bereitet Böttcher Sorgen. "Die Branche für Arznei- und mediznische Produkte ist ein großer Wachstumsmarkt in den USA", berichtet er. Er befürchtet, dass eine restriktive Wirtschaftspolitik und Zugangsbeschränkungen etwa durch Zölle, langfristig das Geschäft beeinflussen.


Markt-Zugang vorerst gesichert

Weil das Unternehmen hauptsächlich auf dem europäischen Markt aktiv ist, hält Böttcher mögliche Probleme mit Amerika zwar für den Gesamtumsatz als unangenehm, aber nicht bedrohlich. "Wir werden das US-Geschäft nicht aufgeben und müssen uns auf neue Begebenheiten einstellen", betont er. Immerhin wurden kurz vor der Wahl wichtige Genehmigungen von der amerikanischen Gesundheitsbehörde erteilt, der Zugang zum Markt ist momentan also gesichert. Böttcher hofft, dass reflektierte Berater den schwarz-weiß-malenden Trump einbremsen. "Es wird aber Irritationen geben. Einfacher wird es nicht", ist sich der Vorstand sicher.
Auch Peter Mayr, einer der Geschäftsführer von Perma-Tec Euerdorf, hat den Ausgang der US-Wahl verfolgt. Schließlich seien die USA mit etwa 20 Prozent "umsatzmäßig der größte Auslandsmarkt" für das Unternehmen - und es gibt dort eine Niederlassung. Perma-Tec wird in den kommenden Tagen und Wochen zwei Entwicklungen beobachten, eine kurzfristige und eine mittelfristige.


Blick auf die US-Währung

Kurzfristig sei wichtig, wie sich die US-Währung an den Devisenmärkten entwickelt. Für das Unternehmen ist ein starker Dollar von Vorteil. Mittelfristig stelle sich die Frage, was Donald Trump von seinem Programm umsetzen könne. Denn von der propagierten Stärkung der amerikanischen Binnenkonjunktur und der eigenen Industrie könnte auch Perma-Tec profitieren. Mayr nennt Kohlekraftwerke und Bergbau, die zu den Kunden zählten, als Beispiele. "Wenn Minen wieder in Betrieb gehen, werden für die Maschinen natürlich auch Instandhaltungsprodukte gebraucht." Diese eventuell positive Sichtweise auf den Wahlausgang will Mayr rein wirtschaftlich und unternehmerisch betrachtet wissen. "Auch ich war heute früh schockiert", sagt er. In den verschiedenen Branchen, mit denen er zu tun hat, habe sich keiner dieses Ergebnis vorstellen können.


"Überraschung war sehr groß"

"Die meisten Amerikaner, die ich kenne, sind geschockt. Die Überraschung war sehr groß", meint Stephen Ellis. Der Student aus Bad Kissingen hat Familie und Bekannte in den USA und hat bereits erste Reaktionen mitbekommen. "Sie hoffen, dass Trumps Wahlsieg ein Weckruf für die nächsten vier Jahre ist, damit die Demokraten die nächste Wahl gewinnen", und eine zweite Amtszeit Trumps verhindern. Ellis hofft ebenso auf den mäßigenden Einfluss von Politikern aus der zweiten Reihe. "Ich hoffe, dass nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird", sagt er.
Der aus Sulzthal stammende Philipp Moritz arbeitet aktuell an der renommierten Universität von Berkley in Kalifornien. "Die Stimmung im multikulturellen und stark demokratisch geprägten Berkeley reicht von Fassungslosigkeit bis zu tiefer Enttäuschung", berichtet er, und: "Mit Trump identifizieren kann sich hier keiner." Vielen sei durch die Wahl bewusst geworden, dass sich ihre Freunde und sozialen Netzwerke sehr vom Alltag vieler Amerikaner unterscheiden.
Trotzdem: "Vereinzelt gibt es Optimismus, dass eine Trump-Präsidentschaft weniger schlimm werden wird, als angenommen und dass Trump seine Wahlkampfansagen nicht umsetzen wird." Schließlich sei seine Antrittsrede "ganz passabel" gewesen. "Überrascht sind aber alle. Noch am Nachmittag war sich hier jeder sicher, dass Hillary das Rennen machen würde."


Vergleich mit EU-Abstimmung

Insgesamt sei die Situation in Kalifornien mit der nach dem Brexit vergleichbar. "Trump ist ein Brexit 2.0", fasst Philipp Moritz die Reaktionen zusammen: "Beides ist jetzt Realität. Wir müssen sehen, wie wir damit am besten konstruktiv umgehen. Und dafür sorgen, dass wir in Deutschland tolerant und weltoffen bleiben."
Der frühere Wildfleckener Bürgermeister Walter Gutmann hat Verwandtschaft in den USA: "Ich bin entsetzt und mache mir große Sorgen, wie sich die Demokratie entwickelt", sagt er, und: "Es scheint fasst so, dass im Wahlkampf keine Argumente mehr zählen."

"Der 9. November. Tag besonders schöner und besonders schrecklicher Einträge im Geschichtsbuch", twitterte die Bad Kissinger CSU-Wahlkreisabgeordnete Dorothee Bär als erste Reaktion. In einer Demokratie müsse man alle Wahlergebnisse akzeptieren, ergänzte sie im Gespräch mit dieser Zeitung. "Die USA sind ein wichtiger Partner, da bricht man nicht einfach Gespräche ab", plädiert sie für ein Abwarten, was die Präsidentschaft Trumps nun mit sich bringe. Zumindest sei Trumps erste Rede nach dem Wahlsieg schon ein versöhnlicher Schritt. Von ihrem einjährigen Auslandsaufenthalt in Illinois wisse sie, dass die US-Bürger auf dem Land ganz anders ticken als in New York, berichtet Bär.

Ich habe das Drama live mitverfolgt, mein erster Gedanke war, dass der 9. November irgend etwas an sich hat", berichtet der ehemalige Wildfleckener Bürgermeister Alfred Schrenk (SPD). Zehn Jahre lang unterrichtete er US-Soldaten in deutscher Sprache. Bis heute habe er gute Freunde in den USA. "Die haben alle Trump gewählt", berichtet Schrenk kopfschüttelnd. "Man kann nur hoffen, dass er nicht alles, was er im Wahlkampf angekündigt hat, auch wirklich realisiert."

"Ich fand es schon erschütternd, dass nach so einem langen Auswahlverfahren nur noch diese beiden Kandidaten übrig geblieben sind", sagt der Bad Kissinger Oberbürgermeister Kay Blankenburg, der nun hofft, dass es "nicht ganz so schlimm wird wie befürchtet". Wenn es negative Auswirkungen auf den Export gebe, könne sich das auch auf Bad Kissingen auswirken: In Wirtschaftskrisen würden auch weniger Tagungen und Kongresse gebucht.

"Auch wenn ich immer noch tief erschüttert bin: Das Ergebnis der Wahl in den USA müssen wir als Demokratinnen und Demokraten natürlich respektieren", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar. "Gleichzeitig dürfen wir in Deutschland und Europa die Gefahr, die vom Rechtspopulismus ausgeht nicht unterschätzen." Trump habe die Errungenschaften der Demokratie wie Gleichberechtigung, Weltoffenheit, eine solidarische Gesellschaft und stabile soziale Sicherungssysteme mit Füßen getreten. "Für uns bedeutet das, dass es heute besonders wichtig ist, Politik mit Überzeugung und Weitsicht zu machen. Rechter Populismus wird nicht durch populistische Gegenmodelle entzaubert, sondern durch gerechte und soziale Politik, die gut und verständlich vermittelt wird." rr

"Als sehr große Obama-Anhängerin habe ich heute Nacht aus Angst, dass Trump Präsident wird, kaum ein Auge zugetan und die Wahlergebnisse fieberhaft verfolgt", berichtet Dawn Hänsch, die im englischen Manchester geboren und aufgewachsen ist. Die 47-Jährige lebt seit 30 Jahre in Bad Kissingen, durch den Auslandsaufenthalt ihrer Tochter in Louisiana und mehrere Reisen dorthin hat sie viele Freunde in den USA. "Wie bereits beim Brexit haben wieder die leicht zu beeinflussenden Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau gesiegt", vermutet sie. "Mir tun meine Freunde in Großbritannien und den USA leid, die nun fassungslos vor dem Untergang ihres eigenen Landes stehen und mit den Konsequenzen des unüberlegten Handelns, das auf nicht haltbaren Versprechungen basiert, leben müssen."

"Überrascht war ich eigentlich nicht", sagt Helmut Sharp aus Bad Brückenau. "Ich habe so viele Stimmen gehört, wie unzufrieden die Menschen sind. Immer mehr fallen auf Populismus herein." Gehofft hatte er freilich - wie so viele andere auch - etwas anderes. Die Sharps pflegen enge Kontakte in die USA. Ehefrau Josie lebte knapp 20 Jahre in den Vereinigten Staaten. Ihre Tochter ist noch immer dort. "Was mir zu denken gibt, ist, wie der Populismus immer weiter Fuß fasst", sagt Helmut Sharp. Auch in Deutschland und Europa beobachte er ähnliche Bestrebungen. Das Ehepaar interessiert sich für Kommunalpolitik, bei den Stadtratswahlen 2014 traten beide auf unterschiedlichen Listen an. Was ihnen nicht in den Kopf will: "Wie kann man heutzutage ohne Wahlprogramm Erfolg haben und auch noch gewählt werden? Mit reinem politischem Populismus!" Das bereitet Helmut Sharp Sorge.

"Es war eine Wahl enttäuschter Menschen, die den Anschluss an die Gesellschaft verloren haben", sagt der Ex-Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell aus Hammelburg, und: "Trump wird die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen." Zum Klimawandel sagt Fell: "Paris kann er nicht zurücknehmen, aber er kann Sand ins Getriebe werfen." Zwar sei er gegen TTIP, aber die angekündigte Abschottung der USA hält Fell für einen Irrweg: "Wir brauchen einen freien Welthandel und ein Zusammenwachsen der Menschheit."

"Gerade wir im Landkreis, in dem die Amerikaner nach der Diktatur des Dritten Reichs Nachbarn, Partner, Schutzmacht waren, wissen, was wir den USA zu verdanken haben: Frieden, Hilfe beim Wiederaufbau, die Rückkehr Deutschlands in die Weltgemeinschaft, die Eröffnung des Wegs in die demokratische, weltoffene Gesellschaft, die wir heute sind", sagt Manuela Rottmann, Grünen-Bundestagskandidatin im Wahlkreis Bad Kissingen. "Wir müssen und werden mit den USA weiter zusammen arbeiten. Aber nur auf Basis dieser Werte, die den aufgeklärten Westen ausmachen und die Voraussetzung für Frieden und Freiheit bleiben. Da hat Angela Merkel einfach recht."