Orchester-Ordnung für Anfänger: Wer sitzt eigentlich wo?
Autor: Carmen Schmitt
Bad Kissingen, Dienstag, 11. Juli 2017
Die strenge Sitzordnung auf der Bühne hat nichts mit Bequemlichkeit oder guter Nachbarschaft zu tun. Horn neben Harfe? Klar! Tuba und Violine? Niemals!
Wer Karten für einen Abend mit einem klassischen Orchester hat, hat nicht nur großes Glück, sondern oft ein großes Fragezeichen im Gesicht. Zum ersten Mal im Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank, zum zweiten Mal im Saal vor der Bühne. Ein paar Dutzend Musiker hocken da. Streichbögen zucken, Paukenschlägel dreschen, Finger fliegen, der Taktstock tanzt. Das Dilemma: Wo zuerst hinhören; wem als erstes folgen? Eine hinreißende Reizüberflutung. Aber: Wer sitzt eigentlich wo - und warum? Welcher Musiker hat was zu tun?
Albert Schmitt ist einer, der es wissen muss. Er saß selbst einmal rechts hinten auf der Bühne. Dann wechselte der Kontrabassist noch weiter nach hinten. Ende der 90er wurde der Musiker zum Manager. Seither kümmert sich Albert Schmitt im Hintergrund als Geschäftsführer darum, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen Geld verdient. Seit diesem Jahr ist das Orchester fest für den Kissinger Sommer gebucht und sitzt für mehrere Konzerte auf der Bühne im Regentenbau. Aber nicht jeder auf dem Stuhl, der ihm gerade am besten gefällt.
Rhythmus aus der letzten Reihe
Die Schwachen nach vorne: Die Streicher sitzen im Zentrum und in den vordersten Reihen. Die Holz- und auch die Blechbläser sind lauter und rücken deshalb ein paar Plätze nach hinten. Die vierte Instrumentengruppe: Schlagwerk und Pauken. Sie treiben und halten den Rhythmus von den letzten Reihe aus. "Sie sind das Skelett, das Rückgrat des Orchesters", sagt Albert Schmitt. Freie Platzwahl für die Künstler? Denkste! "Sonst geht die Balance verloren." Wegen der verschiedenen Tonhöhen sind Streicher in vier Gruppen unterteilt: zehn erste Geigen spielen die Melodie, acht zweite Geigen unterstützen sie. Die Bratsche, Viola, hat einen warmen, nicht so eindringlichen Klang wie die Violine. Die sechs Spieler sorgen für viel Atmosphäre, erklärt Albert Schmitt. Das Cello ist das Fundament der Streicher, sagt er. Alle vier Musiker spielen eine Stimme, mal als Bass-Instrument, mal die Melodie. Die Kontrabassisten geben mit dem tiefen Instrument Klangfülle. Sie sind die Basis des ganzen Orchesters. Von den Streichern zu den Bläsern: Die Holzbläser treten immer paarweise auf. Der eine übernimmt die Führung, der zweite unterstützt die Melodie-Stimme. Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte haben feine Klangfarben und können schneller höher und feiner spielen als ihre Sitznachbarn, die Blechbläser. Vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen und eine Tuba gehören bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen zur Blechbläser-Belegschaft. Die Trompeten spielen von allen vier Instrumenten in der höchsten Tonlage, die Posaunen liegen in der Mitte, genauso wie die Hörner, die öfter auch Solo-Einsätze haben. Die tiefe Stimme übernimmt die Tuba - wie der Kontrobass, meint Albert Schmitt.
Die vierte Abteilung ist die der Schlagzeuger. Getreu dem Motto aus der Militärmusik "mit Pauken und Trompeten" haben Blechbläser und Schlagzeuger eine enge Verbindung, erklärt Geschäftsführer Schmitt. Zwei bis drei Künstler erschaffen mit Becken, Pauken, großer und kleiner Trommel und der Triangel für das Rhythmus-Gerüst des Orchesters. Xylophon und Glockenspiel stehen in Ausnahmefällen auf der Bühne. Ein anderes Sonderinstrument ist die Harfe. Die platziert sich gegenüber der Kontrabässe, wenn sie zum Einsatz kommt.
Was aus den Epochen übrig ist
Die Besetzung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ist die eines klassischen Orchesters - so wie sie sich durch die Epochen entwickelt und schließlich bewährt hat. "Im Verlauf hat es sich immer angepasst. Manche Instrumente haben sich dann durchgesetzt." Was sich außerdem etabliert hat, sind die Hirarchien. Die sogenannten Stimmführer innerhalb jeder Instrumenten-Gruppe sind wichtig, wenn es daran geht, das Stück ohne den Dirigenten einzustudieren, meint Albert Schmitt. Fällt der einmal aus, hat der Konzertmeister das Sagen. Der Konzertmeister ist gleichzeitig Stimmführer der Violinen und vertritt das Orchester gegenüber dem Dirigenten. Der steht ganz vorne in der Mitte und gibt den Takt an. Normalerweise.
"Unser Orchester braucht den Dirigenten nicht als Taktgeber", sagt der ehemalige Kontrabassist Albert Schmitt. Die Musiker seien so gut aufeinander eingespielt und vorbereitet, dass sie auch ohne "Verkehrspolizist" durch das Stück kommen. "Sobald man ohne Dirigent spielen kann, kann der sich voll und ganz auf die Inspiration einlassen." Erst auf diesem Niveau, erklärt Albert Schmitt, sei ein künstlerischer Prozess möglich: Der Dirigent kann spontan entscheiden, ob das Orchester schneller oder langsamer, lauter oder leiser spielen soll, weil er nicht damit zu tun hat, die Künstler zusammenzuhalten. "Da geht das Musizieren los."
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
1980 gründet sich das Kammerorchester der Jungen Deutschen Philharmonie als Zusammenschluss von Musikstudenten. Drei Jahre später tritt das Orchester in New York vor den Vereinten Nationen auf. 1991 touren die Musiker zum ersten Mal durch Japan, im gleichen Jahr spielen sie ihr Konzert in der New Yorker Carnegie Hall. Im Jahr 1987 gründet sich das Orchester in Frankfurt neu als "Deutsche Kammerphilharmonie", seit 1992 spielen die Musiker unter dem Namen "Deutsche Kammerphilharmonie Bremen".
Mit internationalen Konzertreisen und CD-Aufnahmen etabliert sich das Orchester bei Publikum und Veranstaltern und wird zu einem der weltweit führenden Kammerorchester. Die Musiker sind nicht nur für das Künstlerische, sondern als Gesellschafter in dem Orchesterunternehmen auch für das Wirtschaftliche verantwortlich.
Seit 2004 ist der estnische Dirigent und Grammy-Preisträger Paavo Järvi Künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Ein Höhepunkt der Zusammenarbeit mit dem Orchester: Sechs Jahre lang konzentrieren sich Dirigent und Musiker auf ein Beethoven-Projekt, das weltweit gefeiert wurde.
Vielfach wurden Dirigent, Musiker und Orchester mit Preisen ausgezeichnet. Echo Klassik, Preise der Deutschen Schallplattenkritik, den Deutschen Gründerpreis, 2016 war die Kammerphilharmonie erstes "Orchester des Jahres" bei Deutschlandradio Kultur. Die Musiker engagieren sich außerdem in Projekten mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Für ihr soziales Engagement an der Gesamtschule Bremen-Ost erhielt das Orchester 2007 den "Zukunftsaward". Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist auf nationalen und internationalen Konzertbühnen und Festivals zu hören. Bis 2014 war sie zehn Jahre lang "Orchestra In Residence" des internationalen Beethovenfests Bonn, ist Residenzorchester der Elbphilharmonie Konzerte Hamburg und seit diesem Jahr Festivalorchester beim Kissinger Sommer.