Ohne Bürger geht es nicht
Autor: Sigismund von Dobschütz
Nüdlingen, Montag, 10. März 2014
Nüdlinger informieren sich über die Möglichkeiten für einen Dorfladen.
"Dorfladen kann man nicht lernen", machte Dieter Möhring (49) seinen Zuhörern in Nüdlingen gleich zu Beginn deutlich. Die Junge Liste hatte den langjährigen Bürgermeister der Gemeinde Aidhausen (Landkreis Haßberge) zum Vortrag ins DJK-Vereinsheim eingeladen. Etwa 30 Nüdlinger waren gekommen, um sich am Beispiel Aidhausens über die Einrichtung eines Dorfladens informieren zu lassen.
Seit drei Jahren sei das Kaufhaus Schäfer in Nüdlingens
Ortsmitte geschlossen, führte Matthias Weber (30), Kandidat der Jungen Liste, in den Informationsabend ein. Seitdem sei das Gebäude leer. Die Immobilie müsse endlich wieder für die Nahversorgung genutzt werden. Parkplätze seien in ausreichender Zahl vorhanden. Außer zwei Metzgern und drei Bäckern im Zentrum gebe es nur den Tegut-Supermarkt am Ortsrand. Deshalb sei immer wieder die Einrichtung eines Dorfladens im Gespräch.
Das Beispiel Aidhausens könne aufzeigen, was dabei beachtet werden muss. Weber: "Wir erwarten Anregungen und Perspektiven."
Doch so einfach sei dies nicht, bremste Bürgermeister Möhring allzu hoch gesteckte Erwartungen seiner Zuhörer. Sechs Jahre habe es in Aidhausen von der Idee bis zur Eröffnung gedauert. 2005 begann es mit einem Bürgerseminar zur Sammlung von Ideen und Vorschlägen. "Sie müssen gleich zu Beginn alle Einwohner mit ins Boot nehmen."
Nach Erstellung einer Machbarkeitsstudie und Durchführung einer Bürgerbefragung wurde das Projekt zwei Jahre später ins Regionale Entwicklungskonzept aufgenommen. Erst 2009 konnte eine Unternehmergesellschaft als Mini-GmbH gegründet und der Dorfladen als Modellprojekt für das Integrierte Ländliche Entwicklungskonzept (ILEK) angemeldet werden. Möhring: "Ohne Fördermittel wäre das Ganze trotz hoher Bürgerbeteiligung nicht gegangen."
Immerhin seien für den zweigeschossigen Neubau im Ortszentrum, der 2011 endlich eröffnet werden konnte, insgesamt 400 000 Euro aufzubringen gewesen, davon 120 000 aus Fördermitteln. Der Rest sei von der Gemeinde, durch Mietvorauszahlungen des Bäckers und des Metzgers sowie Beteiligungen der Bürger finanziert worden. Über die Hälfte aller Haushalte habe man als stille Teilhaber für das Unternehmen gewinnen können. Die Bürgerbeteiligung sei die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen des Projekts gewesen: "Wenn es meins ist, muss es laufen; damit es läuft, muss ich dort einkaufen", erläuterte Aidhausens Bürgermeister die logische Gedankenfolge.
Aktionen und Direktvermarkter
Das "Aidhäuser Dorflädle" ist allerdings nur ein Baustein im Gesamtkonzept des Unternehmens. Stünde der Laden allein, wäre dessen Betrieb wohl kaum rentabel. Das Erfolgsgeheimnis ist der Zusammenschluss mehrerer Einrichtungen und deren ständige Begleitung durch publikumswirksame Aktionen. Denn neben dem Dorfladen sind im Erdgeschoss zusätzlich der alteingesessene Metzger und der Bäcker eingezogen. Es werden nicht nur die Grundnahrungsmittel regionaler Direktvermarkter wie Eier oder Kartoffeln bis hin zu Christbäumen verkauft, sondern auch informative Ausflüge auf den Bauernhof oder mit dem Förster in den Wald durchgeführt. Ergänzend wurde im Obergeschoss eine Mehrgenerationen-Werkstatt eingerichtet, wohin die Aidhausener zum Frauenfrühstück oder dem Seniorentreff, zu Vorträgen oder zum Computerkurs kommen.
"Jetzt trifft man in unserem Dorflädle Menschen, die man früher kaum gesehen hat", freut sich der Bürgermeister über den Erfolg des neuen Kommunikationszentrums in der Ortsmitte. Eine Seniorin mit Rollator habe ihm einmal unter Tränen gesagt, jetzt könne sie endlich wieder selbst einkaufen gehen. Früher war sie immer auf Angehörige für die Fahrt in den entfernten Supermarkt angewiesen.
Inzwischen macht der Dorfladen einen Umsatz von 370 000 Euro "ohne Fleisch und Wurst" bei einer jährlichen Steigerung von fünf bis acht Prozent. Vieles hätten die sieben Beschäftigten und der Beirat aber erst im laufenden Betrieb lernen müssen: "Es gibt keine Regeln zum Führen eines Dorfladens."
"Bei unserem Projekt muss niemand Geld mitbringen, aber wir machen auch keine wahnsinnigen Gewinne", schloss Möhring seinen Vortrag. "Drei Jahre steht Schäfer jetzt leer", kam Gastgeber Matthias Weber auf das Nüdlinger Problem zurück. Nach der Kommunalwahl will die Junge Liste eine Bürgerumfrage zur Einrichtung eines Dorfladens durchführen. "Es wird Zeit, dass etwas passiert."