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"Viva Voce" - Auch Klamauk kann reifer werden


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 29. Dezember 2013

Bei seinem zweiten Konzert in diesem Jahr bot "Viva Voce" dem Publikum auch Einblicke in seine 15-jährige Vergangenheit.
Schlussbild im Großen Saal: "Viva Voce" mit (stehend, v.l.) David Lugert und Mateusz Phouthavong sowie (kniend) Jörg Schwartzmanns, Bastian Hupfer und Heiko Benjes. Foto: Ahnert


Im letzten Januar, als die Windsbacher Ex-Boygroup "Viva Voce" das erste Mal zum Kissinger Winterzauber kam, musste das Konzert wegen der großen Nachfrage noch vom Kurtheater in den dann recht gut gefüllten Großen Saal verlegt werden. Jetzt, elfeinhalb Monate später, hatte sich herumgesprochen, was versäumt, wer nicht kommt. Der Saal war restlos ausverkauft; an der Abendkasse war keine einzige Karte mehr zu bekommen.
Dabei konnte man eigentlich Vorbehalte haben. Denn das Programm war überschrieben mit "Commando a cappella" - also genauso wie im letzten Januar, wo sich das Quintett auf seine damals gerade erschienene neue CD konzentrierte. Das Problem: So ein ausgefeiltes Programm mit ebensolcher Bühnen- und Lightshow hat eine Haltbarkeitsdauer von einem Jahr. Es gab eigentlich nichts Neues. Die neue CD, die sie promoten könnten, erscheint erst im Januar. Und sie zielt mit barocken Sätzen in eine Stilrichtung, mit der sich ein Großer Saal nicht rocken lässt.

Aber abgesehen davon, dass es auszuhalten ist, Lieder von "Viva Voce" innerhalb eines Jahres auch zweimal zu hören, hatten die Fünf aus der Not eine Tugend gemacht und hatten neben einer Auswahl an aktuellen Songs sich darauf besonnen, dass sie 15-jähriges Gruppen- und Bühnenjubiläum feiern (in der aktuellen Besetzung sind sie seit 2009 zusammen). Und so kombinierten sie ihr Standardprogramm mit Rückblenden in die Anfangsjahre, in denen sich damals vier junge Sänger anschickten, sich von ihrer Windsbacher Sängerknabenprägung zu emanzipieren und stattdessen den Boygroups in die Arme liefen.


Boygroup im Reifeprozess

Mit ihren Namen sind sie da immer noch, auch wenn alle noch in diesem Jahrzehnt die 40er-Marke erreichen und überschreiten werden: der Basti (Bastian Hupfer, Tenor), der David (David Lugert, Tenor), der Ma-Te (Mateusz Phouthavong, Bariton), der Jörg (Jörg Schwartzmanns, Mouth-Percussion) und der Heiko (Heiko Benjes, Bass, Kontrabass, E-Bass). Und wenn sie zu Beginn ins Publikum stürmen, dann treffen sie dort die Elisabeth und die Marina und den Thomas - der ausgerechnet an dem Tag Geburtstag hatte, aber so schaute, als wäre er dem "Happy Birthday" aus 1000 Kehlen lieber entgangen.

Aber musikalisch-textlich sind sie absolut ernsthaft und hochprofessionell geworden. Lieder wieder der "SmalltalkChecker", ihr (Anti-)Facebooksong "Gefällt mir" oder "Zeitgeist" sind sehr politische, sehr kritische, sehr sensible Auseinandersetzungen mit den unangenehmen Erscheinungen der Gegenwart. Und wenn sie ihr Publikum mit dem Lied vom "Sand im Getriebe" zu einem bewussteren Umgangm it den medien auffordern, ist man durchaus geneigt, sich nicht manipulieren zu lassen, sondern gleich nach der Heimkehr den Fernseher oder Computer nicht einzuschalten, sondern mal wieder zu einem Buch zu greifen. Da hat "Viva Voce" ein Niveau erreicht, das die Gruppe heraushebt, auch wenn natürlich die Konkurrenz groß ist und auch andere Ensembles ihren "Maultrommler" und ihren singenden E-Bass haben.


Deutliche Entwicklung

Aber genauso reizvoll waren die Gesangsproben aus der Vergangenheit, die zeigten, dass das Ensemble sich wirklich entwickelt hat, dass es die Ebene der Boygroups verlassen hat. Da waren Coverversionen und eigene Kompositionen dabei, die zum Teil zwar witzig waren ("O sole mio", "Volare", "Ich wär so gerne Millionär" oder "One Night Ständchen"), aber manchmal auch charmant naiv. Wenn die Fünf von der Liebe sangen, rückte auch mal der Kitsch in Sichtweite - darf er ja auch.

Was überraschend gut war, das waren die selbstironischen Reminszenzen an die eigene Vergangenheit in Windsbach, als sie plötzlich eine barocke Vertonung des 26. Psalms ("Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses") anstimmten. Da war trotz der karikierenden Performance noch die ganzer Präzision einer harten Schulung da. Das verlernt man offenbar nicht.

Ein starker Kontrast zu der ansonsten etwas lärmigen, stark kommunikativen Art, von der sich das Publikum gerne einfangen und zum Mitmachen anstacheln ließ. Unterm Strich: "Viva Voce" hat noch einmal zugelegt.