Tom soll 2826 Meter bis zur Schule laufen
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Donnerstag, 24. Juli 2014
Toms Tante durfte vor Jahren noch kostenlos mit dem Bus zum Gymnasium fahren, jetzt hat das Landratsamt nachgerechnet: Von der Rhönstraße aus ist Laufen laut Gesetz zumutbar.
Tom Zirkenbach braucht nur über die Straße zu gehen und steht an der Bus-Haltestelle. Beste Bedingungen also für den Weg zum Jack-Steinberger-Gymnasium, das der Zehnjährige ab September besucht. Einziger Haken: Wenn er in den Bus einsteigen will, muss er zahlen - 8,40 Euro für die Schüler-Wochen- und 27 Euro für die -Monatskarte. Toms Tante Sandra hat die Fahrkarte noch kostenlos bekommen, obwohl sie im gleichen Haus wohnte: Seitdem hat das Landratsamt aber mit Routenplanern nachgerechnet. Und das nicht nur bei Tom...
Mehr als nur eine Formalität
"Nicht so toll" findet der Zehnjährige den Ärger rund um die Kostenfreiheit seines Schulwegs. Dass er mit gut zehn Kilogramm Schultasche und oft noch einer Sporttasche zusätzlich bei Wind und Wetter von daheim aus bis zum Gymnasium laufen soll, kann er sich nicht vorstellen. Und seine Mutter Ramona noch viel weniger: "Laufen lass ich ihn auf keinen Fall", sagt die 33-Jährige. Schließlich führe der Weg am viel befahrenen Nordring entlang, zum Teil ohne Wohnbebauung, von Spritzwasser oder Schnee im Winter ganz zu schweigen.
Der Antrag auf Kostenfreiheit des Schulwegs war für die Zirkenbachs eigentlich nur eine Formalität. "Ich habe noch nie ein Kind aus Hausen ins Gymnasium laufen sehen, alle anderen Kinder in der Straße kriegen auch die Busfahrkarte", erzählt die 33-Jährige. Als kurz vor Pfingsten die Ablehnung kam, waren sie deshalb umso überraschter: "Da haben sich Mama und Papa ziemlich aufgeregt", erinnert sich auch Tom.
Widerspruch wurde abgelehnt
Vater Sven Zirkenbach nahm gleich sein Fahrrad und fuhr die Strecke ab. Dabei machte er auch die kleinen Umwege, die aus Sicht der Zirkenbachs notwendig sind, zum Beispiel überquerte er die Seitenstraßen dort, wo der Gehsteig abgesenkt ist und man eine gute Sicht hat. Ergebnis: 3,1 Kilometer entlang des Nordringes, jeder andere Weg, etwa entlang der Salinenstraße, ist sogar in Google Maps länger als drei Kilometer.
Doch der Widerspruch wurde abgelehnt: "Wie bereits geklärt, beträgt der Schulweg weniger als drei Kilometer", lautete die Antwort. Und: "Eine besondere Gefährlichkeit konnte nicht festgestellt werden." Es bestehe laut Gesetz keine Beförderungspflicht: "Der Fußweg zum Schulort ist zumutbar."
Das Thema hat am Mittwochabend sogar den Stadtrat beschäftigt: "Es ist ein Unterschied, ob ein Kind durch die Fußgängerzone laufen muss oder von Hausen rein", sagte SPD-Stadtrat Bernd Czelustek aus Hausen. Oberbürgermeister Kay Blankenburg (SPD) sicherte zu, sich in der Sache an den Landkreis zu wenden.
Auch in anderen Stadtteilen
Dort verweist man auf die geltende Rechtslage: "Eine Beförderung durch öffentliche oder private Verkehrsmittel ist notwendig, wenn der Schulweg in einer Richtung mehr als drei Kilometer beträgt und die Zurücklegung des Schulwegs auf andere Weise nach den örtlichen Gegebenheiten und nach allgemeiner Verkehrsauffassung nicht zumutbar ist", heißt es im Gesetz über die Kostenfreiheit des Schulweges. Ausnahmen bei "besonders beschwerlichen oder besonders gefährlichen Schulwegen" sind aber vorgesehen.
"Wir sind gesetzlich verpflichtet, das abzulehnen", sagt Sachbearbeiterin Gertrud Kleinhenz schon fast entschuldigend. Auch in Garitz, Reiterswiesen und Arnshausen gebe es ähnliche Fälle. Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung habe sich sogar ein Richter einmal einen Schulweg angesehen. Doch die Urteile seien alle eindeutig gewesen: "Einmal ging es sogar um gerade einmal sechs Meter."
"Es gibt Fälle, da bekommt es eine Familie bezahlt und der Nachbar nicht", berichtet Kleinhenz. Mit Google Maps und dem amtlichen Geo-Informationssystem kommt sie immer wieder zu anderen Ergebnissen wie bisher. Alleine in der Rhönstraße könnten - völlig unabhängig von Toms Fall - vier weitere Kinder betroffen sein, in anderen Stadtteilen ebenfalls. Besonders beschwerlich sei der Weg auch nicht: "Er ist durchgehend beleuchtet, eine Bebauung ist nicht vorgeschrieben."
Netzkarte für alle Schüler
Übrigens: Der Weg zur Realschule wäre für Tom 466 Meter weiter, dort gäbe es die Fahrkarte kostenlos. "Das überlegten wir sogar, aber die Noten passten und auch Toms Lehrer riet uns zum Gymnasium", berichtet Ramona Zirkenbach. Und noch eine Merkwürdigkeit: Durch die Einführung der Schüler-Netzkarte darf Tom am Nachmittag ab 14 Uhr im ganzen Landkreis kostenlos fahren - für den Schulweg am Morgen bringt ihm das aber nichts.