Druckartikel: Tacheles, Thomas Ahnert!

Tacheles, Thomas Ahnert!


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Dienstag, 13. Juni 2017

Der Private befragt den Professionellen: Tom Ahnert, Privatmann, fragt sein Alter Ego, den Thomas Ahnert - Kulturkritiker der Saale-Zeitung.


Seit über 30 Jahren ist er der Kulturkritiker schlechthin: Thomas Ahnert. Ihn hat ein langjähriger Kissinger Sommer-Besucher über das Klassik-Festival am Scheideweg befragt: Tom Ahnert. Und Thomas Ahnert beantwortet endlich Fragen, die er sich selbst schon immer gestellt hat.

Herr Ahnert, Sie haben den Kissinger Sommer ...
Thomas Ahnert: Entschuldigung, wenn ich da gleich mal unterbreche. Also, wir kennen uns schon so lange, und die Leser wissen das ja auch. Da können wir ruhig bei dem Du bleiben.

Also gut: Du hast den Kissinger Sommer eigentlich von Anfang an beobachtet und hast darüber berichtet. Letztes Jahr war er etwas turbulent, weil nach 30 Jahren die Ära Kari Kahl-Wolfsjäger endete. Und zwar etwas brachial, wie manche Kissinger meinen. War dieser Wechsel zu Tilman Schlömp nötig? Das Festival wurde doch überall als Erfolgsmodell bezeichnet. Warum hat man den Vertrag nicht noch mal verlängert?
Da kann ich eigentlich nur Hermann Hesse und seine "Stufen" zitieren: "Wie jede Blüte welkt und jede Jugend / Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, / Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend / Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern ..."

Ja schon, aber ich will ...
Moment, ich bin gleich fertig. Jetzt kommt's: "Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe / Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, / Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern / In andre, neue Bindungen zu geben. / Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben." Damit ist doch eigentlich alles gesagt.

Jaja. Aber wir sind hier nicht in einem Lyrik-Proseminar. Ich will wissen, was Sie ... Halt! Tschuldigung: was du über den Wechsel meinst.
Er war nötig. Ich will die Leistung von Kari Kahl-Wolfsjäger nicht auch nur einen Millimeter klein reden. Was sie in den 34 Jahren - begonnen hat das Ganze ja schon drei Jahre vor dem ersten Kissinger Sommer - getan und erreicht hat, ist wirklich enorm. Und auch aus meiner ganz persönlichen Sicht: Wenn ich bedenke, was für Künstler ich in all den Jahren in Bad Kissingen nicht nur gehört, sondern auch kennen gelernt habe, dann bin ich ihr wirklich dankbar.

Kommt jetzt das große Aber?
Natürlich. Aber das wollte ich erst mal loswerden. Also: ABER ich halte Wechsel in Führungspositionen, vor allem im kulturellen Bereich, durchaus für notwendig und sinnvoll. Wenn Simon Rattle die Berliner Philharmoniker verlässt oder Jonathan Nott seinen Vertrag bei den Bamberger Symphonikern nicht verlängert, bedeutet das ja nicht, dass die alle nicht mehr miteinander können, sondern dass sie sich mal wieder neue Impulse und Herausforderungen suchen wollen. Beim Fußball ist das doch genauso, wenn ein Erfolgstrainer wie Jupp Heynckes adieu sagt.

Als im letzten Frühsommer wirklich alle gemerkt hatten, dass die Intendanz von Kari Kahl-Wolfsjäger tatsächlich zu Ende geht, sind - zumindest hat sich das für einen Außenstehenden so dargestellt - in den Nachfolgeverhandlungen die Emotionen ziemlich hochgekocht.
Das war auch zu befürchten. Wenn man nur alle 34 Jahre eine Intendanz zu besetzen hat, dann fehlt einfach die Erfahrung, und das schafft Unsicherheit und Gereiztheit. Es sind in den letzten Jahren aber auch einige Verkrustungen entstanden, die das Festival zumindest nicht beflügelt haben, und Spannungen, die eigentlich vermeidbar gewesen wären. Da muss ich nur an das nicht sehr souveräne Ende des letzten Kissinger Sommers denken, an dem fleißig an der Legende gestrickt wurde, dass es mit dem Festival nicht weitergehe. Die Berufung von Tilman Schlömp als Nachfolger am Stadtrat vorbei war allerdings auch keine kommunalpolitische Glanztat. Wenn ich einen neuen Intendanten haben will, sollte ich ihn nicht schon vorher beschädigen. Aber zum Glück war das Ergebnis um Längen besser als das Verfahren. Und Tilman Schlömp hat Humor.

Worin liegt das Problem?
Ich habe den Eindruck, dass der Kissinger Sommer auch nach 31 Jahren noch nicht wirklich bei den Kissingern angekommen ist, vor allem nicht im Stadtrat. Ich kenne kein Festival in Deutschland, das sich nach so langer Zeit noch für seine Existenz entschuldigen muss. Das soll kein Vorwurf sein, wenn ich sage, dass die Mehrheit im Stadtrat mit Klassik nichts am Hut hat. Aber man müsste doch allmählich begriffen haben, dass der Kissinger Sommer das einzige Pfund ist, das die Stadt noch hat, mit dem sie nach außen wuchern und werben kann. Da müsste der Stadtrat doch alles Erdenkliche tun, um ihn möglichst nachhaltig zu stärken - in der Ausstattung und in der Werbung, um auch die Umwegrentabilität zu erhöhen. Aber ich höre immer nur von Einsparungen.

Da hätte man sicher die Millionen für den Springbrunnen im Rosengarten gut verwenden können.
Ach, hör mir auf mit dem Spritzbrunnen. Das Kind ist wirklich in den Brunnen gefallen, das Geld kommt nicht wieder. Aber das Problem liegt auch daran, dass Diplomatie nicht wirklich Kari Kahl-Wolfsjägers Sache war. Der klassikinteressierte Christian Zoll war der letzte Oberbürgermeister, der sich mit der Intendantin auf Augenhöhe auseinandersetzen konnte und wollte. Man hätte sich halt öfter mal mit ihr zusammensetzen müssen und ihr vorbehaltlose Unterstützung signalisieren müssen, sie dabei aber auch fragen können, ob zum Beispiel ein Sinfoniekonzert wirklich mehrere teure Solisten braucht - es gab auch schon schöne Konzerte ohne Solist - oder ob man nicht die wirtschaftlich problematischen Samstagsmatineen streicht (wie dieses Jahr).

Täuscht mich da meine Wahrnehmung, wenn ich behaupte, dass die Programmatik in den letzten Jahren etwas an Spannung und Abwechslung verloren hat?
Das würde ich so nicht sagen. Der Eindruck entstand bei dir vielleicht, weil es nur ein relativ schmales Repertoire aus Klassik und Romantik immer wieder gespielt wurde, das man in den großen Orchesterkonzerten, auch bei den Kulturreiseunternehmen, gut verkaufen kann. In den 31 Jahren wirkte der Reigen der Großwerke wie eine Endlosschleife. Dass man in einem Jahr viermal die 2. Brahms-Sinfonie oder dreimal das Dvorák-Cellokonzert hören durfte, gab es in den letzten Jahren nicht mehr. Was mich mehr gestört hat, war die personelle Entwicklung. Dass junge Leute auftraten, die dann erst berühmt wurden, kam in den ersten Jahren wesentlich häufiger vor. Und ich habe mich manchmal gewundert, wer alles noch nicht da war, auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Einige der Ratgeber sind nach über 30 Jahren natürlich auch nicht mehr da. Es hat sich in den Jahren ein gewisser harter Kern gebildet, der immer wieder kam. Ich will nicht das böse Wort von "Seilschaften" in den Mund nehmen, das ginge zu weit. Aber manchmal hatte man schon das Gefühl von Anhänglich- und Abhängigkeiten. Mancher Name erschien mir in den letzten Jahren einfach zu oft in den Programmen.

Vielleicht gab's ja Mengenrabatt?
Das glaube ich nicht mal. Eigentlich sollte ja die künstlerische Qualität im Vordergrund stehen und nicht das Schnäppchen oder andere außermusikalische Interessen.

Und jetzt, beim 32. Kissinger Sommer, wird schlagartig alles anders! Und besser!
Na klar! Quatsch! Natürlich wird manches anders. Sonst hätten wir ja keinen neuen Intendanten gebraucht. Aber besser? Das werden wir erst hinterher wissen. Auf jeden Fall beobachte ich an mir nach Jahren der routinierten Vorfreude mal wieder neugierige Vorfreude, denn ich sehe viele berühmte neue Namen. Und ich hoffe, dass alle Kissinger die auch empfinden, denn es sind ja schon wieder die Hauptbedenkenträger unterwegs, die wissen, dass der "neue" Kissinger Sommer nichts sein kann. Ich darf daran erinnern, dass die allerersten vier Jahre des damals neuen Kissinger Sommers mit einer ähnlichen Abwehrhaltung "begrüßt" wurden, weil damals etwas "Neues" von außen kam. Erst als auch Lob und Erfolg von außen kamen, nahmen die Kissinger das Festival als das "ihre" an.

Was macht dich denn so ... so ... sagen wir mal euphorisch?
Naja. Der Tilman Schlömp hat ja nicht alles umgekrempelt und an einigen bewährten und beliebten Formaten - und Künstlern - festgehalten. Aber allein schon, dass es ihm gelungen ist, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi für fünf Jahre an das Festival zu binden, ist ein echter Knaller. Obwohl da auch schon wieder die Pessimisten sich als die wahren Kenner gezeigt haben.

Inwiefern?
Hast du das noch nicht gehört, das böse Wort von den "Bremer Stadtmusikanten"? Da wird mal wieder etwas vorverurteilt, was man überhaupt nicht kennt. Die Bremer Kammerphilharmonie ist in aller Welt berühmt und gefeiert, nur nicht in ihrer Heimat. Wir Deutschen haben ein Problem mit dem Namenszusatz "Kammer", weil ein Kammerorchester bei uns ein Klangkörper ist, für den es zum großen Orchester nicht gereicht hat. Kann also nichts sein. Aber dann frage ich mich, warum Jonathan Nott Bamberg verlässt und zu einem Kammerorchester, dem Orchestre de Chambre de Lausanne wechselt, wenn das ein Abstieg wäre. Oder warum Paavo Järvi sagt: "Die Bremer können mich haben, so lange sie wollen." Ich freue mich auf sie, denn das sind 52 Musiker, die tuten und streichen wie der Teufel. Ich bin überzeugt, dass sich ihre Anwesenheit positiv auf das Festivalklima in der Stadt auswirkt. Was mich auch begeistert, ist das Education-Programm, die Schülerkonzerte ...

Halt! Mal langsam! Die gab es doch bisher auch schon jedes Jahr. Ich habe doch die Schülerhorden gesehen, die Richtung Regentenbau getrieben wurden.
Ja und nein. Was mancher schon vergessen hat: In den ersten Jahren sind immer auch Musiker oder Komponisten in die Schulen gegangen und haben den Schülern ihre Musik und ihre Arbeit vorgestellt. Da gab es interessante Vormittage mit Sofia Gubaidulina oder Udo Zimmermann. Und die "Schulkonzerte" im Großen Saal waren eigentlich Alibiveranstaltungen, von den Schülern vor allem wegen des Unterrichtsausfalls geschätzt. Da bestand das Hauptproblem darin, die Kids ruhig zu kriegen, weil sie etwas hören sollten, was sie nicht wirklich interessierte - außer David Garrett als Person und Kultfigur. Dieses Mal können sie aktiv werden, können im BBC Symphony Orchestra mitspielen, können in Mendelssohns "Sommernachtstraum" singen und spielen - und einiges mehr. Darauf können sie hinterher stolz sein, und das hat sicher mehr Nachwirkungen.

Hast du in diesem Jahr besondere Favoriten?
Ich freue mich zum Beispiel auf die "Palastrevolution" am 8. Juli in allen Räumen des Regentenbaus mit elf Konzerten für alle Geschmacksrichtungen - als Gesamtereignis. Aber bei den Einzelkonzerten will ich keines bevorzugen. Wobei ich es übrigens als Vorteil empfinde, dass das Festival dieses Jahr kein besonderes Gastland mehr hat, sondern ein Thema: "Das Jahr 1830". Das zeigt sich in fast allen Programmen, die dadurch eine schlüssigere Gestaltung ermöglichen und nicht dem Zufall überlassen sind. Und wenn ich das noch kurz sagen darf - ich weiß, es gibt keine Zeitungsseite zum Ausklappen: Was mich auch freut, auch wenn es eher hinter den Kulissen passiert: dass Tilman Schlömp den Kissinger Sommer geöffnet hat für Kooperationen mit anderen Festivals. Das stabilisiert die wirtschaftliche Basis und kann Einrichtungen wie die LiederWerkstatt sichern helfen.

Jetzt aber wirklich zum Schluss: Gibt's auch etwas neues Negatives?
Das werden wir frühestens hinterher sehen. Ich werde mich hüten, Vorschussbrennnesseln zu verteilen. Von mir aus kann's losgehen.