Sie spüren den Rhythmus der Freiheit
Autor: Gerhild Ahnert
Maßbach, Montag, 20. April 2015
Nilz Bessel, Philip Pelzer und Johanna Maria Seitz bringen den Jugend-Abenteuer-Reiseroman "Tschick" im Theater im Pferdestall mit unbändiger Kraft auf die Bühne. Und die Zuschauer sind mittendrin.
Wenn es eine Jugend-Saga von einem deutschen Autor gibt, die in den letzten Jahren eine ähnliche Sogkraft entwickelt hat wie "Harry Potter" international, dann ist es die Geschichte von Maik und Tschick in Wolfgang Herrndorfs Jugendroman "Tschick" aus dem Jahr 2010. Schon mehr als eine Million Exemplare waren 2013 in Deutschland verkauft. Der Text wurde in 24 Sprachen übersetzt.
Der Dresdner Dramaturg Robert Koall erkannte sein Potenzial und schuf 2011 eine Bühnenfassung, die am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt und in der Saison 2012/ 2013 mit 764 Aufführungen das meistgespielte Stück an allen deutschen Bühnen wurde.
Wie Jugendliche ticken
Klare Sache, dass das einzige Jugendtheater in Nordbayern, das Theater im Pferdestall (TiP) des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach, sich dieses Bühnenhits annahm. Schließlich arbeitet für das Theater seit Jahren ein Regisseur, der immer wieder bewiesen hat, dass er genau weiß, wie Jugendliche ticken und wie man sie begeistert: Thomas Klischke.
Wie schon so oft haben er und sein Ausstatter Jean Keller den Zuschauerraum im ehemaligen Pferdestall völlig leer geräumt; die Zuschauer sitzen auf leicht verschiebbaren Wellpappehockern, sodass die Agierenden sich im und durch den gesamten Raum bewegen können, sich und die Zuschauer und den Spielraum ständig verändern können.
In diesem Jugendroman geht es um Raumgewinn, um Erleben in sich ständig verändernden Räumen, Erwachsenwerden eben: Zwei 14-Jährige, der wohlstandsverwahrloste und für die großen Ferien von beiden Eltern alleine gelassene, von den Klassenkameraden als Langweiler gemiedene Maik und sein ebenso ausgegrenzter Freund Tschick (eigentlich Andrej Tschichatschow), den keiner einzuordnen weiß zwischen Wohnblock, Jugendalkoholismus und Russenmafia, machen sich mit einem gestohlenen alten Lada auf in die Walachei zu Tschicks Großvater.
Auf in die Walachei
Wo die Walachei ist, wissen sie nicht, wo sie sich gerade befinden, auch nicht. Doch wird die Reise der beiden minderjährigen Autofahrer, die letztendlich zwangsläufig in die Arme der Polizei führt, zum großartigsten Ferientrip für die beiden.
Immer wieder überschlagen sich die Ereignisse, auch mal das Auto; es gibt Berge, Seen, die Autobahn. Ein fast atemloser Trip durch nicht weiter fassbare Gegenden - wie bringt man diesen Jugend-Abenteuer-Reiseroman in eine Form, die all das nicht wirklich abbilden muss?
Die Inszenierung findet eine begeisternde Lösung: Indem man das gar nicht eins zu eins versucht. Indem man den kleinen Raum wie eine begehbare Plastik benutzt und all seine Möglichkeiten ausschöpft, die Lichtleisten, alle Klappen, eine kleine Versenkung, die Wände, die Scheinwerferaufhängungen an der Decke, die Decke selbst. Eine eigentliche Bühne gibt es nicht, der Zuschauerraum wird zur Welt. Als Einstiegsmetapher dient der Swimmingpool von Maiks Villa am Ende des Romans, aus diesem engen Raum brechen sie aus und kehren in ihn zurück. Sie erobern den Zuschauerraum, hämmern ihren glücklichen Rhythmus dieser Fahrt immer wieder ins Bewusstsein der Zuschauer.
Nilz Bessel als Maik und Philip Pelzer als Tschick spielen diesen Beat der Freiheit, der Freundschaft, des Kennenlernens, des Fahrens irgendwohin und zu sich selbst mit unbändiger Begeisterung aus. Das Publikum folgt in jeder Minute gespannt ihren lebenshungrigen Diskussionen, ihren fast erlebenstrunkenen Erkenntnissen. Regisseur Klischke hat sich und seinen drei Schauspielern zugetraut, dass sie nicht nur die eigene Geschichte umwerfend spielen, sondern in parodistischen, zum Teil urkomischen Zitaten, angedeuteten Dialogen auch all die anderen hereinholen, die für sie Bedeutung hatten oder auf ihrer Reise haben. Denn bis auf die Begegnung mit der älteren, auch in sexuellen Dingen erfahreneren Isa, von Johanna Maria Seitz mit großem Körpereinsatz gespielt, ist das ein Zwei-Personen-Stück. Dennoch schafft es die Aufführung, dass wir ohne die Beschreibungen des Romans all die Personen kennen lernen.
Mitreißend und überzeugend
Das Publikum dankte mit langem, begeistertem Applaus für diese fantasievolle, mitreißende, absolut überzeugend gestaltete und gespielte Version von Herrndorfs Sensationserfolg, der es nach so kurzer Zeit ja auch schon in die Literaturlehrpläne der Schulen geschafft hat.