Schmerz: Wie er das Leben lähmt
Autor: Carmen Schmitt
Bad Kissingen, Montag, 21. März 2016
Sie kämpfen gegen Schmerzen, die sich festgesetzt haben. Reiner Schäfe war Patient im Schmerzzentrum und kann heute wieder lachen.
Reiner Schäfe grinst. Noch vor vier Wochen hätte er nicht gedacht, dass er das jemals wieder tut. Er stützt sich mit beiden Unterarmen auf seine blauen Krücken. Seine rechte Schulter ist davon inzwischen kaputt. Große Sorgen macht er sich darüber nicht - "die kommt als nächstes dran". Es ist der linke Fuß. Die Haut ist noch orange von der letzten Operation.
Es war der 23. Eingriff.
2013 war er gestürzt, sein Wadenbeinbruch wurde sofort operiert. Doch die Schmerzen wurden immer mehr - Krankenhauskeime steckten in seinem Bein. Sie blieben. Die Schmerzen auch. Irgendwann wurden sie so schlimm, dass er nicht mehr klar denken konnte. Reiner Schäfe aus Arnshausen wollte sein Bein loswerden. "Ich habe zum Arzt gesagt, wenn Sie es nicht abnehmen, mach ich´s." Dann kam er zu Dr. Maximiliane Deckart und ihrem Team im St. Elisabeth-Krankenhaus.
Am Anfang dachte sie, es dauert, bis das neue Schmerzzentrum anläuft. Es ging schneller. Bis Juni hat sie keine freien Plätze mehr. Zehn Patienten nimmt die Leiterin des Schmerzzentrums immer wieder auf. Die sollen im besten Fall nicht ihren Hausarzt vorschicken, sondern selbst anrufen: "Sie müssen bereit sein, etwas zu ändern."
Zuerst: Schmerz lindern
Maximiliane Deckart geht es nicht um Ursachen-Forschung.
Sie behandelt ihre Patienten in der Situation, in der sie im Moment feststecken. "Es ist erstmal unser Ziel, den Schmerz zu lindern", sagt sie.Der sitzt so tief, dass er zur eigenen Krankheit geworden ist. "Bei chronischen Schmerzen reicht ein kleiner Reiz für maximale Wirkung", sagt Maximiliane Deckart.Die Anästhesistin hatte nie etwas mit Schmerztherapie am Hut. Bis 2009. Damals war sie in einer Klinik in Bad Mergentheim, als sie als Oberärztin in die Abteilung hineinwuchs und sich zur Schmerztherapeutin ausbilden ließ. Mit jedem Patienten lernte sie mehr. Sie hat gemerkt: Es braucht die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz. "Schmerz ist immer emotional."
Im September hat sie begonnen, das Schmerzzentrum am St. Elisabeth-Krankenhaus aufzubauen. "Dafür brauchte ich mehr als einen Schreibtisch", sagt sie.
Bewegung als Therapie
Die Haare nach hinten gesteckt, die Augen dunkel geschminkt, rote Lippen; unter dem weißen Kittel ein modisches Outfit. Maximiliane Deckart bekam mehr als einen Schreibtisch. Ihre Patienten trainieren in einem Sportzimmer, basteln bei der Ergotherapie und sind im gemeinsamen Aufenthaltsraum füreinander da. Im Schnitt sind die Patienten zwölf Tage hier. Reiner Schäfe blieb länger. Schmerz gleich Stress, gleich Adrenalin, gleich noch mehr Schmerz. Maximiliane Deckarts Patienten sind ungeduldig, angespannt, schlafen schlecht und schnell gereizt. Reiner Schäfe sagte Dinge, die er nicht so meinte. Seine Ehe litt unter seinen Schmerzen. Das Team aus Schmerzmedizinern, Physio- und Ergotherapeuten und einer Psychologin hilft, aus dem Schmerz-Kreislauf auszubrechen. Bei Maximiliane Deckart hat sein Gehirn gelernt, den Schmerz langsam herunterzufahren.
Wenn ihre Patienten die Klinik verlassen, sollen sie mit ihrem Schmerz besser leben können. Entspannungsübungen und Ablenkungstechniken sollen helfen. Das Ziel: mehr Lebensqualität. "Ich habe mein Bein gehasst. Ich habe jetzt wieder eine Beziehung zu meinem Bein", sagt Reiner Schäfe. Der 50-Jährige hat täglich starke Schmerzmittel genommen. Bis heute.
Das richtige Antibiotikum ist gefunden, aber es dauert noch, bis die Wunde an seinem Bein verheilt ist. Die in seiner Seele ist es schon. Seine blauen Krücken lehnen am Tisch. Reiner Schäfe witzelt. Vor seiner Behandlung wollte er nicht mehr vor die Tür. Er hatte keine Kraft für die Antwort auf die Frage "Wie geht´s?". Reiner Schäfe hat sich abgeschottet, Kontakte vernachlässigt, Freunde verloren. Jetzt freut er sich darauf, durchs Dorf zu gehen und jedem von seinem "Wunder" zu erzählen. (Weiterer Bericht zum "Eli"