Krieg teilt Spätaussiedler in Bad Kissingen
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Sonntag, 16. November 2014
Der Krieg im Osten der Ukraine spaltet nicht nur dort Land und Gesellschaft in pro-russische und pro-ukrainische Kräfte, sondern treibt auch hier Nachbarn, Freunde und Familien auseinander.
Olena Albert ist eine gläubige Christin, die regelmäßig die Gottesdienste in der russisch-orthodoxe Kirche in Bad Kissingen besucht hat. Die 43-Jährige aus Hausen war dort jahrelang ein aktives Gemeindemitglied, sang auch im Chor. Jetzt nicht mehr. "Ich spüre eine Aggressivität mir gegenüber, die kann ich nicht ertragen", sagt sie. Auch auf der Straße wird sie gemieden.
Einstige Bekannte und Freunde aus GUS-Staaten, die in Bad Kissingen leben, beäugen sie misstrauisch und gehen grußlos vorbei. Olena Albert: "Da ist eine Barriere, wenn ich Leute, mit denen ich befreundet war, in der Stadt treffe."
Religion und Politik trennen
Im März nach der Annexion der Krim durch Russland hat die Ukrainerin ihre politische Meinung zu dem Konflikt öffentlich dargestellt. Daraufhin hat sie sich mit ihrem Priester Alexej Lemmer überworfen und besucht seitdem eine orthodoxe Gemeinde in Hessen.
Mit ihren Erfahrungen ist sie nicht allein. Die ukrainische Dolmetscherin Tetyana Arnold aus Waldfenster hat sich im Frühjahr gegenüber der Zeitung ihre Gefühle angesichts der Lage in der Ostukraine geschildert. "Wenn alles außer Kontrolle gerät, wenn Putin sich durchsetzt, verliere ich meine Heimat", sagte sie damals. Heute klingt sie noch pessimistischer: "Ich habe meine Heimat verloren." Ihre Eltern leben in der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer, direkt im Kriegsgebiet. Die Gegend ist abgeschnitten, Arnold ist es seit Ausbruch der Kämpfe unmöglich, ihre Familie zu besuchen.
Familien zerstreiten sich
Seit sie ihre Meinung öffentlich geäußert hat, merkt sie, wie hinter ihrem Rücken über sie getuschelt wird. "Es ist schwer, wenn man hinter sich hört: ,Ah! Das ist doch die aus der Ukraine.'" Das sei auch im Gottesdienst der Fall gewesen. Wie Olena Albert besucht sie deshalb jetzt eine andere orthodoxe Gemeinde und nimmt dafür etliche Kilometer Fahrt in Kauf.
Priester Alexej Lemmer weist die Vorwürfe der beiden Frauen zurück. "Ich mache keinen Unterschied zwischen Nationalitäten. Wir sind alles orthodoxe Christen", antwortet er auf Nachfrage. In der Gemeinde sollten keine politischen Spannungen zugelassen werden, man versammle sich in der Kirche, um über Gott zu reden. "Es ist die Aufgabe der Kirche zu beten." Tatjana Baranov, Kämmerin der russisch-orthodoxen Gemeinde, schließt sich an. "Wir sind alles Menschen. Die Nationalität spielt keine Rolle", versichert die Kirgisin. Gleichwohl gibt es in der russischsprachigen Gemeinde Konflikte, bestätigt Priester Lemmer. "In den Familien gibt es oft Spannungen, der eine versteht den anderen nicht", schildert er seinen Eindruck.
Der Krieg wird zum Tabu erklärt
Mann und Frau, Schwester und Bruder verkrachen sich. So wie die Familie von der Geschäftsfrau Ekatarina L. (Name geändert), die aus Russland stammt und in Bad Kissingen lebt. Sie hält Putin für einen unberechenbaren Machtpolitiker und steht in dem Krieg politisch eher auf Seiten der Ukraine. "In meiner Familie habe ich deshalb viel Streit", erzählt sie. Am schlimmsten mit ihren Sohn, von dem sie sich manchmal entfremdet fühlt. Auch die Beziehung zu Geschäftspartnern habe sich abgekühlt. Ekatarina L. verteidigt ihre Meinung heftig, sorgt sich aber um den Familienfrieden. Deshalb will sie ihren Namen auch nicht in der Zeitung lesen. "Wenn du keinen Streit mit mir willst, dann reden wir nicht über das Thema!" Der Krieg wird zum Tabu erklärt.
Die Ukrainerin Tatjana Touev und ihr Mann Viatcheslav setzen ebenfalls auf Deeskalation. "Wir reden nicht über das Thema, weil es sonst nur Streit gibt", sagt Tatjana Touev. Offenbar ist es nicht möglich, dass beide Seiten konstruktiv miteinander über den Krieg in der Ukraine diskutieren. Die Stimmung ist emotional zu stark aufgeladen. Viatcheslav Touev ist der Ansicht, dass die zwischenmenschlichen Konflikte vor allem durch einseitige und nationalistische Berichterstattung in den russischen Medien befeuert werden. "Man merkt ganz deutlich, wer welche Informationen schaut", meint er. Dolmetscherin Tetyana Arnold beschwichtigt. Sie werde nicht überall ablehnend behandelt. "Es hängt vom Menschen ab", sagt sie.