Druckartikel: Jeder Mensch ist eine Insel

Jeder Mensch ist eine Insel


Autor: Thomas Ahnert

Maßbach, Montag, 26. Oktober 2015

Im Intimen Theater Schloss Maßbach hat Rolf Heiermann das letzte Stück des Amerikaners Eugene O'Neill, "Ein Mond für die Beladenen", auf die Bühne gebracht - ein Stück, das die Angst vor der Einsamkeit thematisiert.
Der Nachbar T. Stedman Harder (Georg Schmiechen) ist überrascht über den aggressiven Empfang von Phil Hogan (Eike Domroes) und seiner Tochter Josie (Inka Weinand). Foto: Sebastian Worch


Zugegeben, schon der Originaltitel von Eugene O'Neills Drama-Letztling "A Moon for the Missbegotten" wirkt etwas irritierend, weil es schwerfällt, sich auf Erwartungen einzulassen. Denn "missbegotten" kann man übersetzen mit "scheußlich, unehelich, schlecht konzipiert". Und davon stimmt nichts. Denn das Stück ist weder scheußlich - auch wenn trotz Prohibition der Alkohol eine treibende Rolle spielt - noch schlecht konzipiert.

Und unehelich ist auf dem flachen Land im Connecticut der 1920er Jahre auch niemand. Gut, der Mond ist wichtig, weil er ein wichtiges Signal ist - und eine dankbare Aufgabe für die Lichtregie: Die zentrale Szene spielt in der Nacht. Aber auch die deutsche Übersetzung von Leopardi & Eckstein kann da nicht wirklich weiterhelfen, auch wenn sie ein bisschen konkreter wird: "Ein Mond für die Beladenen." Da kann sich immerhin jeder angesprochen fühlen, denn wer ist das nicht.


Von der Fähigkeit zur Liebe

Man sollte sich trotzdem nicht abschrecken lassen und seiner Neugier vertrauen: Denn die Geschichte, die O'Neill erzählt, kann tatsächlich jeden betreffen, auch wenn man erst einmal abwehrend die Hände hebt, sich ganz anders sieht. Es geht um nichts anderes als um das "Mehr scheinen als sein" oder "Anders scheinen als sein". Um die Unfähigkeit, sich aus dem hermetischen und überhöhten Bild von sich selbst zu lösen und sich zu öffnen, sich nicht zu spielen, sondern sich zuzulassen. Natürlich geht es letztlich um die Fähigkeit zur Liebe.

Eugene O'Neill hat es den Regisseuren und dem Publikum nicht leicht gemacht, sich in diese hermetische Welt zu begeben. "Ein Mond für die Beladenen" ist ein echtes Kammerspiel für vier Personen und, auch wenn es nicht im Salon, sondern auf einem Bauernhof spielt, ein Konversationsstück, in dem handlungsmäßig so gut wie gar nichts passiert: ein paar Auftritte und Abgänge, kein strahlender Held, der krachend auf die Bühne springt und das Heft des Handelns an sich reißt, keine verwechselten Türen. Die lähmende Langeweile, in der sich das Leben auf der Ranch abspielt, ist mit Händen zu greifen. Rolf Heiermann, der die Inszenierung besorgt hat, erspart dem Zuschauer konsequenterweise diese Erfahrung nicht, er verzichtet auf ablenkende Mätzchen oder Überzeichnungen, die diese Lähmung aufbrechen. Und O'Neill zwingt den Zuschauer, sich überraschend spannend hineinziehen zu lassen. Die beiden ersten der vier Akte lassen den Zuschauer ein bisschen ratlos, wo es eigentlich hingehen soll. Dafür sind die Akte drei und vier umso stürmischer.


Inmitten von steinigen Äckern

Was will man auch erwarten von dem Farmer Phil Hogan, der mit seiner Tochter Josie auf einer heruntergekommenen Farm inmitten von steinigen Äckern lebt, dem die Frau im Kindbett gestorben ist, dem die beiden "missratenen" Söhne abgehauen sind, nicht ohne ihn vorher zu beklauen, und der keine Zukunft hat, weil er nicht weiß, wie lange er die Farm überhaupt noch als Pächter halten kann.

Obwohl es ja schon zu Beginn Signale gibt, wohin die Reise gehen soll. Und die machen das Kammerdrama, auch wenn er nicht die Hauptrolle hat, zu einem Stück für Phil Hogan oder, auf Deutsch, für Eike Domroes. Der kommt aus dem Stall, als Mike, sein zweiter Sohn, gerade getürmt ist, schimpfend. Polternd, drohend, furchterregend gewaltbereit - das Leben mit ihm muss eine Hölle sein. Aber Josie, seine Tochter (Inka Weinand) erwartet ihn schon, mit dem Knotenstock in der Hand, obwohl sie auch ohne den mühelos mit ihrem Vater fertig werden würde. Aber der beruhigt sich plötzlich: alles nur gespielt. Eigentlich ist er ein guter Kerl. Aber so haben sie es wieder einmal geschafft, eine Situation zu überspielen, in der Nähe gefragt gewesen wäre. Und Eike Domroes zieht auch mehr oder weniger im Hintergrund mit seinem Versteckspiel die Fäden, denn es geht ihm darum, seine Tochter mit James Tyrone jr. (Markus Schmädicke) zu verheiraten. Der ist zwar Alkoholiker und erfolgloser Broadway-Schauspieler, aber in Bälde auch schwerreicher Erbe der Farm.


Opfer ihrer Scheinwelt

Josie muss sich so nach zwei Seiten verstellen. Sie hat von sich das Bild aufgebaut, dass sie mit jedem Mann aus dem Tal schon im Bett war. Tatsächlich ist sie noch Jungfrau. So wird sie zum Opfer ihrer eigenen Scheinwelt. Sie weiß nicht, ob sie James heiraten will, sie weiß nicht, ob sie den Besoffenen überhaupt ins Bett ziehen will, um Fakten zu schaffen, und sie weiß nicht - Inka Weinand macht das sehr deutlich - ob sie nicht froh ist, als er schließlich, den Kopf auf ihrem Schoß, eingeschlafen ist. Jedenfalls vermeidet sie alles, was ihn wecken könnte. Markus Schmädicke, der Neue im Team, spielt den Erben, der durch seine Sauferei die Realität ohnehin nur noch gefiltert wahrnimmt, der sich als Rechtfertigung für sein Trinken hinter dem Tod der Mutter verschanzt. Er kann gar keine Entscheidungen mehr treffen, weil er absolut augenblicksgesteuert ist. Und deshalb findet er auch keine Einstellung zu Josie. Das macht Schmädicke unangenehm nachvollziehbar. Was er ein bisschen stärker gestalten könnte, sind die lichteren Momente, in denen er seine Auftritte als Boulevardgröße hat - die er ja auch nur spielt.

Einig sind sich die drei, als sie mit aufgesetzter Aggressivität den plötzlich auftauchenden Nachbarn T. Stedman Harder (Georg Schmiechen) vom Hof jagen. Er - der einzige Ehrliche - war gekommen, um die Ranch zu kaufen. Am Ende macht sich James aus dem Staub. Der polternde Phil taucht wieder auf. Josie poltert zurück. Dann gehen sie einträchtig zum Frühstück. Sie machen an dem Punkt weiter, an dem sie anfangs aufgehört haben.