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Gleich zwei Faschingsprinzen


Autor: Redaktion

Euerdorf, Samstag, 19. November 2022

Schwul, glücklich, ganz normal. Matthias und Sebastian Bömmel sind in dieser Faschingssaison das Prinzenpaar von Euerdorf im Landkreis Bad Kissingen. Das erregt Aufmerksamkeit. Doch warum eigentlich?
Sebastian (links) und Matthias Bömmel sind die diesjährigen Faschingsprinzen in Euerdorf.


Dies ist eine Geschichte, die eigentlich gar keine ist. Oder zumindest keine mehr sein sollte im Jahr 2022. Die Bömmels - er, Matthias, und er, Sebastian. Seit anderthalb Jahren sind sie ein Paar, seit bald fünf Monaten verheiratet. Sie leben mit ihrer Französischen Bulldogge Soi in einem gemütlichen Eckhäuschen im 1500-Seelen-Ort Euerdorf, nahe der Fränkischen Saale im Landkreis Bad Kissingen. Und in dieser Faschingssaison sind sie das Prinzenpaar der Euerdorfer Karnevalsgesellschaft.

Ein Faschingsprinz und ein Faschingsprinz? Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Verschiedenste Medien, lokal und überregional, Fernsehteams und Boulevardblätter, berichteten schnell. Und die Anfragen aus der weiteren Region, ob die Euerdorfer Karnevalisten nicht zu Umzügen und Sitzungen kommen wollen, häufen sich.

Warum so viel Aufmerksamkeit? Warum so viel Aufhebens?

Kaum homosexuelle Faschingspaare

Matthias und Sebastian Bömmel sind nicht das erste gleichgeschlechtliche Prinzenpaar in der Region. Aber, sagt Tobias Brand, unterfränkischer Bezirkspräsident im Fastnachtverband Franken: "Es ist leider immer noch etwas Außergewöhnliches." So maximal ein oder zwei gleichgeschlechtliche Paare gebe es jede Saison, sagt Brand. Bei rund 175 unterfränkischen Faschingsvereinen macht das nicht einmal ein Prozent aus. Auch damit es mehr werden, verleiht der Verband seit diesem Jahr einen Preis für Inklusion und Integration an seine Vereine. "Das müssten wir nicht tun, wenn es selbstverständlich wäre", sagt Bezirkspräsident Brand. "Wir müssen darüber sprechen." Schließlich sei der Fasching vielfältig wie kaum etwas anderes.

Und wie wird man eigentlich in Euerdorf zum Faschingsprinzen? "Da geht man einfach mal zum Bäcker", sagt Sebastian Bömmel und lacht. Dort sei er dann von der Schwester eines Vorstandsmitglieds angesprochen worden, dass die Karnevalisten sich ihn und seinen Mann gut vorstellen könnten. "Ich war am Anfang noch nicht so begeistert", sagt der 36-Jährige. "Matthias dafür umso mehr." Seit 70 Jahren gibt es die Euerdorfer Karnevalsgesellschaft jetzt. "Dieses Jahr haben wir zum ersten Mal ein gleichgeschlechtliches Prinzenpaar", sagt Sitzungspräsident Dieter Diez. "Wir wollen damit auch ein Zeichen setzen." Die Resonanz? "Total positiv! Dass es so einen Hype auslöst, war aber weder geplant noch vorhersehbar."

An diesem Samstag, 19. November, starten die Euerdorfer mit dem Rathaussturm in die Faschingssaison. Die Vorfreude ist groß, auch beim Prinzenpaar.

Matthias Bömmel sagt, er sei immer schon ein Faschingsnarr gewesen. Schon in Burglauer (Rhön-Grabfeld), wo er als verheirateter Familienvater lebte. Und jetzt Prinz mit Gemahl? "Ich fand das irgendwie gleich lustig. Warum denn nicht, wenn sie uns als Prinzenpaar nehmen wollen?", sagt der 46-Jährige. "Was nützt es, wenn man nicht offen ist? Ich habe auch nie gedacht, dass ich mich in einen Mann verliebe. Habe ich halt." Mit seiner Frau war er 20 Jahre lang verheiratet. Seine Tochter ist 14, sein Sohn 16. Seit der Trennung ist die Familie um ein Mitglied reicher - Sebastian. "Natürlich habe ich mir damals Gedanken gemacht, wie ich das meiner Frau und meinen Kindern beibringen soll", sagt Matthias Bömmel. "Aber man braucht keine Angst haben. Wir sind total im Reinen miteinander." Mit den Kindern hätten er und Sebastian erst neulich einige schöne Tage in Hamburg verbracht.

Negative Erfahrungen? Haben sie bis heute keine gemacht, sagen beide. Auch als bekannt wurde, dass sie heuer die Euerdorfer Faschingsprinzen sein werden, habe es keinerlei Anfeindungen oder abwertende Kommentare gegeben.

"Wir sind sehr froh, hier frei leben zu können, so wie wir das wollen. Und traurig, dass Menschen in anderen Regionen der Welt das nicht dürfen", sagt Matthias Bömmel. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass auch in Deutschland bis vor einigen Jahren Homosexualität als anormal galt, ergänzt Sebastian Bömmel, der sich im Alter von 18  Jahren geoutet hatte.

"Wir sind hier auf dem richtigen Weg. Aber auch, weil viel dafür gemacht wird. Wenn das nicht mehr geschieht, bleiben wir stehen", sagt das Paar. Immer noch gebe es zu viele Menschen, die ihre sexuelle Orientierung nicht oder nur im Geheimen leben könnten - aus Angst vor einem Outing. "Und Angst zerstört Menschen." Für sie ist das einer der Gründe, jetzt als Faschingsprinzen in die Öffentlichkeit zu gehen. Sie wollen wie andere das tun, was ihnen Spaß macht. Und zeigen: Wir sind vollkommen normal. Was halten die beiden davon, dass über ein schwules Faschingsprinzenpaar geschrieben wird? Hätten sie selbst als Reporter das getan? Beide denken kurz nach. "Ja", sagt Matthias Bömmel. "Weil es einfach immer noch außergewöhnlich ist." Sebastian Bömmel ergänzt: "Es ist mittlerweile normal, aber eben noch nicht bei allen angekommen." Die Prinzen hoffen, "dass es in einigen Jahren dann auch wirklich normal ist". Simon Snaschel