Existenzgründerinnen haben es schwerer - auch in Bad Kissingen
Autor: Benedikt Borst
Bad Kissingen, Dienstag, 21. Januar 2014
Veraltete Geschlechterrollen, fehlende Qualifikationen - Frauen haben es heute noch schwer, sich selbstständig zu machen. Nur knapp ein Drittel aller Neugründungen sind von Frauen. In Bad Kissingen versuchen es viele nebenberuflich, aber mit bescheidenem Erfolg.
Die deutsche Wirtschaft braucht Frauen, die den Mut haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die etwas auf den Weg bringen wollen. Die so gut ausgebildet sind, dass sie beides können. Sie braucht Frauen, die einen Betrieb aufbauen und leiten können. Die deutsche Wirtschaft hat aber ein Problem: Solche Frauen gibt es zu selten. Laut Statistik der Industrie- und Handelskammern (IHK) werden rund ein Drittel aller Gewerbe von Frauen angemeldet.
Beim Schritt in die Selbstständigkeit hinken sie den Männern hinterher.
Iris Heid ist diesen Schritt bereits drei Mal erfolgreich gegangen. "Mit Träumereien kommt man nicht weit", sagt die Inhaberin von "Mein Kissinger Kaffee". "Aber Visionen braucht man." Direkt nach ihrer Lehre zur Fleischereifachverkäuferin wurde sie im Alter von 25 Jahren Franchisenehmerin bei der Kaffeekette Wiener's. 1999 eröffnete sie in der Bad Kissinger Ludwigstraße ihre Filiale, wurde damit aber nicht so recht glücklich. "Als Franchise sind die Kosten einfach zu groß", sagt sie. Also eröffnete sie 2002 das Café Lavazza am Marktplatz und führte es bis zum Verkauf 2012. Nach zehn Jahren sei die Zeit reif für eine Veränderung gewesen. Ein Jahr später verschlug es Heid in die Martin-Luther-Straße, wo sie mit "Mein Kissinger Kaffee" den dritten Neustart wagte. Warum fällt das, was Iris Heid scheinbar leicht fällt, anderen Frauen schwerer?
"Jeder ist in der Lage, erfolgreich ein Unternehmen aufzumachen", sagt Sascha Genders. Solange die Qualifikation stimme. Genders leitet den Bereich Existenzgründung und Unternehmensförderung bei der IHK Mainfranken. "Wir brauchen mehr Gründungen", sagt er.
Schlechte Werte
Die Region Bad Kissingen ist ein Sorgenkind der IHK Mainfranken im Hinblick auf Neugründungen. "In Bad Kissingen hatten wir 2012 mehr Gewerbeabmeldungen als Anmeldungen. Das war das erste Mal in unserer Statistikerfassung", berichtet Genders. Zum Vergleich: Während 2012 in Mainfranken 478 Betriebe mehr an- als abgemeldet wurden, verzeichnete die IHK für Bad Kissingen ein Minus von 26 Unternehmen. "2012 gab es auch bei Frauen einen Rückgang der Gründungszahlen", sagt er.
Sonja Schmitt berät Frauen zu beruflichen Fragen am Rhön-Saale Gründerzentrum (RSG) in Bad Kissingen. Sie erklärt die schlechten Werte für 2012. Anfang des Jahres wurde der gesetzliche Gründerzuschuss verringert. Deshalb seien die Anmeldungen vorübergehend zurück gegangen. "2013 sind die Nachfragen bei Gründerinnen aber wieder gestiegen", sagt Schmitt. Es hätten sich wieder mehr Frauen beraten lassen.
IHK-Experte Genders meint, dass bis heute traditionelle Ansichten zu Geschlechterrollen herrschen, die Frauen beim Weg in die Selbstständigkeit benachteiligen. An ihnen hängt immer noch oft die Kindererziehung, Familie und Selbstständigkeit sind für viele nach wie vor schwer zu vereinbaren. Auffällig ist laut Genders außerdem, dass Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) unterrepräsentiert sind. "Da ist der Frauenteil an sich schon geringer", sagt Genders. Es besteht Nachholbedarf bei der Ausbildung von Frauen in Schulen und Betrieben.
Mehrheit nebenberuflich tätig
Die Mehrheit der Frauen, die sich selbstständig gemacht haben, arbeiten nebenberuflich. So können sie die Familie nebenbei managen. "Das ist eine grundsätzliche Problematik", sagt Sonja Schmitt. Die Frauen starten oft mit kleinen Tätigkeiten, etwa im Gesundheitsbereich mit Massagepraxen, als Reinigungspersonal oder als Pflegerinnen. Alles Berufe, die vorab keine großen Investitionen fordern und nebenher zu bewältigen sind. Schreinereien und Restaurants werden dagegen sehr viel seltener gegründet.
Aber auch das ist machbar, sagt Schmitt. Oft sind die Gründerinnen dann sogar langfristig sehr erfolgreich. "Diejenigen, die gleich hauptberuflich gründen wollen, haben gutes Potenzial", meint sie. Sie sind in der Regel gut ausgebildet, hoch motiviert und haben sich ihre Entscheidung lange überlegt. Das senkt das Risiko, zu scheitern.
Unterm Strich weniger Verdienst
Der Vorteil im Nebenerwerb ist, dass man keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen muss, sondern sich beim Partner mitversichern kann. "Das ist für viele typisch", sagt Schmitt. Und problematisch, denn der Schritt in den Haupterwerb ist groß. Die meisten verdienen mit ihrer Arbeit nicht viel mehr, als zuvor nebenberuflich. Dafürfallen monatliche Versicherungsbeiträge an. Am Ende bleibt vom Verdienst weniger übrig, obwohl mehr gearbeitet wird.
Iris Heid hat ihre Entscheidungen nie risikofreudig, sondern immer nach reiflicher Überlegung getroffen. "Man muss sich fragen, wo finde ich eine vernünftige Arbeit, die mir Spaß macht.Wichtig ist, dass man den Job oder branchennah gelernt hat", rät sie. Außerdem sollte eine finanzielle Rücklage, entweder erspart oder über Kredite, gesichert sein. "Ein Jahr muss man überstehen können", sagt sie. Ansonsten gilt: Das Geschäftskonzept muss zum Kunden und den Standort passen. Der Rest ist harte Arbeit, täglich aufs Neue .