Druckartikel: Der verhängnisvolle Griff nach fremden Geld

Der verhängnisvolle Griff nach fremden Geld


Autor: Ulrike Müller

Schweinfurt, Mittwoch, 08. Juni 2016

Ein Steuerberater soll als Testamentvollstrecker 484.633 Euro für sich abgezweigt haben. Gestern begann der Prozess vor dem Landgericht Schweinfurt.
Prozessauftakt am Landgericht: Die erste Verhandlung zog sich über den ganzen Mittwoch hin. Zwei weitere sollen folgen. Foto: Ulrike Müller


Diese drückende Stille, bevor es losgeht. Der Angeklagte und sein Anwalt stehen vor ihren Plätzen, nur wenige Zuschauer sitzen im Publikum. Der Mann schaut aus dem Fenster. Fast eine halbe Million Euro soll er als Testamentvollstrecker veruntreut haben. Wie konnte es soweit kommen?

Die Richter betreten den Raum. Fast 20 Minuten dauert es, bis der Staatsanwalt die Anklage vorgebracht hat.

Der Kern: Von Februar 2013 bis September 2014 soll der Angeklagte insgesamt 30 Umbuchungen auf eigene Konten durchgeführt haben, einmal geht es auch um eine Barauszahlung. Jede einzelne Buchung wird verlesen. "Laut Vereinbarung" oder "gemäß Auftrag" heißt es auf den Kontoauszügen, teilweise wird auf Rechnungsnummern verwiesen. Beträge in Höhe von 4000 Euro bis hin zu 150.000 Euro wechseln den Besitzer.


Entnommenes Geld bereits aufgebraucht

"Der Angeschuldigte verbrauchte die entnommenen Gelder zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten, zur Deckung von Ausgaben seiner Steuerkanzlei sowie zu seiner Lebensführung vollständig", sagt der Staatsanwalt. Für ihn ist klar, dass so etwas nicht aus Versehen passiert. Der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, sich eine "nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Gewicht" zu verschaffen. Mehr noch: Der Angeklagte soll für seine Tätigkeit als Testamentsvollstrecker eine Gebührenrechnung gestellt haben, die viel zu hoch gewesen sei. 174.000 Euro habe er veranschlagt, dabei seien nicht mehr als 102.661 Euro angemessen gewesen. Der Richter spricht den Angeklagten an. "Ja, ich möchte mich äußern", sagt er.


Bruch mit früheren Partnern

Zunächst nimmt das Gericht die Daten auf. Der Angeklagte übernahm nach der Schulzeit die Kanzlei seines Vaters. Zunächst betreute er zusammen mit seinem Bruder die Mandanten. Nach dessen Tod Mitte der 1990er stieß erst ein weiterer Partner, später ein zweiter dazu. Doch die Zusammenarbeit gestaltete sich schwierig. Anfang 2007, nach schwerer Krankheit, verkaufte der Angeklagte seine Anteile an der Kanzlei an seine Geschäftspartner.

Zunächst arbeitete er noch freiberuflich mit, betreute weiterhin seine Mandanten. "Alt und Jung ist eine kritische Angelegenheit, die mich veranlasst hat, die freie Mitarbeit zu beenden", begründet er, warum er sich schließlich im Oktober 2009 mit einer kleineren Kanzlei selbstständig machte. Der Richter hakt nach. "Es lief sehr schleppend an", gibt der Angeklagte zu. In den ersten vier Jahren habe er Verluste gemacht.

Noch einige Male fragt der Richter kritisch nach, bis sich herausstellt, dass der Angeklagte seinen ehemaligen Partnern Geld schuldete. Fast die Hälfte der Auszahlung seiner Anteile blieb in der Kanzlei, um das negative Kapitalkonto auszugleichen. Der Rest sei ans Finanzamt und in die Tilgung weiterer Verbindlichkeiten geflossen, berichtet der Angeklagte.


Mehrere Jahre Gefängnis drohen

Dann dieses Testament. Die alte Dame, die schon der Vater viele Jahre betreute. Ein Vermögen weit über eine Million Euro. Erst kurz vor ihrem Tod änderte die Mandantin aus Würzburg die Regelung des Nachlasses zu Gunsten ihrer Geschwister. Der Angeklagte sei oft bei ihr gewesen, war als Testamentvollstrecker eingesetzt und konnte nach ihrem Tod so unmittelbar über die Konten verfügen. "Es ist ja durchaus üblich, dass Abschläge auf eine künftige Vergütung vorgenommen werden", versucht der Angeklagte eine Erklärung.

Mehrmals fragt ihn der Richter, ob er sich unrechtmäßig verhalten habe. "Nein, es war nicht rechtmäßig", antwortet er und lässt die Hände auf den Aktenordner vor ihm fallen. Er habe das Geld "mit der Bereitschaft, das wieder zurückzuzahlen" entnommen, folgt ein etwas hilfloser Versuch, dem Satz seine Schärfe zu nehmen. "Er hat das Geld gebraucht. Das will er nicht wahrhaben", wirft der Verteidiger erklärend ein.

Die Staatsanwaltschaft spricht von Untreue in 43 Fällen, vom Missbrauch seiner Befugnisse als Testamentvollstrecker und von einem Vermögensverlust großen Ausmaßes. "Es geht hier um eine Straferwartung von mehr als vier Jahren", stellt der Richter klar. Zudem verliere ein Steuerberater seine Zulassung, wenn er länger als ein Jahr ins Gefängnis muss. "Haben Sie diese Möglichkeit ins Auge gefasst?", fragt er den Angeklagten. "Ja, sicherlich", antwortet der Angeklagte etwas kleinlaut. Die Verhandlung zieht sich bis in den Nachmittag, akribisch werden Details der einzelnen Buchungen nachvollzogen. Auch Zeugen kommen zu Wort. Der nächste Termin ist für den 17. Juni angesetzt. Das Urteil wird am 7. Juli erwartet.