Das Land als Ort von Sicherheit und Freiheit
Autor: Ralf Ruppert
Hammelburg, Sonntag, 29. August 2021
Manuela Rottmann zog 2017 über Platz 7 der Grünen-Landesliste in den Bundestag ein. Mittlerweile steht sie auf Platz 5 und hat ihr Mandat so gut wie sicher. Trotzdem kämpft sie weiter um jede Stimme.
Der Terminkalender ist voll, trotzdem wirkt Manuela Rottmann entspannt: Mit einem in die Jahre gekommenen Rennrad fährt die Bundestagsabgeordnete zum Pressetermin auf die Langendorfer Saale-Insel. Den Platz hat die 49-Jährige selbst vorgeschlagen: "Für mich ist es einer der Höhepunkte des Sommers, in der Saale zu schwimmen." In ihrer Kindheit sei das nicht üblich gewesen: "Damals galt die Saale als zu dreckig." Der Fluss sei deshalb ein gutes Beispiel, wie Umweltschutz die Lebensqualität der Menschen auf dem Land erhöht.
Rottmann will die Stärken des Landes betonen. "Die Energiewende wird auf dem Land stattfinden oder gar nicht", nennt sie als Beispiel. Es gebe hier wichtige Strukturen wie den großen gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Selbstständigkeit der Menschen und die schöne Natur.Wenn sie in der Saale schwimme, nur Bäume und die Eisenbahnbrücke sehe, fühle sie sich fast wie im Mississippi: "Das hat viel von Tom Sawyer und Huckleberry Finn", schwärmt die langjährige Umweltdezernentin der Stadt Frankfurt. Hier gebe es noch Räume, die Kinder für sich erobern können. "Als Ort von Sicherheit und Freiheit hat das Land eine große Zukunft, aber nicht als Heimatmuseum", sagt die Hammelburgerin.
Schon vor 30 Jahren trat Manuela Rottmann den Grünen bei. Sie ist gut vernetzt, kennt viele "unterfränkische Exportschlager", wie den aus Langendorf stammenden Darmstädter Oberbürgermeister Jochen Partsch, und tourte als Gesundheitsexpertin im Juli durch ganz Bayern. "Wahlkampf bei den Grünen ist leicht, wenn wir bei sechs Prozent stehen. Wenn wir bei 20 Prozent stehen, wird's schwierig", sagt sie lachend. Ein Problem ihrer Partei sei, dass die Strukturen nicht mit den Wahlergebnissen mitgewachsen seien. "Wir machen immer noch alles selbst", ordnet Rottmann die Fehler von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein, und: "Das hätte jedem passieren können, deshalb bin ich heilfroh, dass ich nicht so in der Öffentlichkeit stehe." Was hält sie von Baerbock und Habeck? "Ich vertraue beiden." Allerdings gebe es einen ganz klaren Vorteil von Annalena Baerbock: "Sie macht Frauen im Wahlkampf sichtbar."
Wie geht Wahlkampf 2021? "Wir probieren alles, Hauptsache unter freiem Himmel", berichtet Rottmann. Im Frühjahr war sie Vorreiterin bei Online-Wahlveranstaltungen, holte bekannte Gesichter wie Cem Özdemir in Video-Konferenzen. "Ich glaube, die Leute haben die Nase voll davon." Lediglich zu ausgewählten Themen wie zuletzt dem Umgang mit Cannabis habe sich noch Online-Veranstaltungen organisiert: "Weil sich die Leute da vielleicht eher trauen." Stattdessen sucht Rottmann den direkten Kontakt: Fahrrad-Touren durch den Wahlkreis, mit dem Eismann durch die Rhön, Picknick mit dem Ortsverein. "Niederschwellig" wolle sie die Menschen erreichen, die Vorbehalte gegen die Grünen haben. "Wenn sich jemand meldet und ein paar Bekannte einlädt, komme ich auch zu den Leuten nach Hause."
"Viele haben ein fundamentales Bedürfnis nach Veränderung", sagt Rottmann und spricht von einer "Erstarrung unter der Reichstagskuppel". Die Große Koalition nehme sich vieler akuter Probleme der Bevölkerung nicht an. Viele Menschen würden Deutschland als "überbürokratisiert" erleben, von Unternehmern über Ärzte bis zu Ehrenamtlichen. Die Bundestagswahl sei eine Entscheidung zwischen "Weiter-so oder Veränderung". "Gerade im Westen hat sich über Jahrzehnte die Erwartung aufgebaut, dass uns der Staat vor allem beschützen kann", sagt Rottmann. Deshalb könne sie auch die Verunsicherung vieler Menschen und den Zulauf für die Querdenker-Bewegung verstehen. Viele Bürger fühlten sich ohnmächtig: "Das war bei Corona schon schwer auszuhalten und wird beim Klimawandel noch schwerer."
Umso wichtiger ist der Grünen-Politikerin, Menschen zu ermuntern, selbst "wirksam" zu werden. Ein kleiner Schritt sei etwa die Corona-Impfung, die unbedingt freiwillig bleiben müsse: "Die Entscheidung kann einem die Politik nicht abnehmen." Aber auch in anderen Bereichen ermuntere sie Betroffene zum Aufstehen gegen Ungerechtigkeit: Im Gesundheitswesen etwa ignoriere die Politik die Überlastung vieler Pflegekräfte seit Jahren.
Als eine der größten Probleme in ihrem Wahlkreis sieht Rottmann die Mobilität. "Wir haben die Leute jahrzehntelang ans Auto gewöhnt." In den Städten sei es selbstverständlich, dass viel Geld dafür ausgegeben werde, den Menschen zumindest für die wichtigsten Wege eine Alternative zum Auto zu bieten. Ein Ziel müsse sein, dass Haushalte auf das zweite oder gar dritte Auto verzichten können. Das würde ganz unterschiedlichen Gruppen nutzen, vom Lehrling ohne Führerschein bis zu Senioren, die nicht mehr zum Arzt fahren wollen. Schließlich bleibt das grüne Kernthema Energiewende: "Wir müssen raus aus der Verbrennung und den Strom über die Erneuerbaren erzeugen", laute das Ziel. Alle anderen Themen wie Wasserstoff-Antrieb verwässerten nur die Diskussion. Deshalb müsse in Bayern die 10-H-Regel fallen und die Bürger müssten selbst an der Energiewende beteiligt werden.