Bis zu 80 junge Flüchtlinge kommen heuer in den Landkreis Bad Kissingen
Autor: Ralf Ruppert
Bad Kissingen, Mittwoch, 08. Juli 2015
Mit bis zu 80 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen rechnet das Kreisjugendamt in diesem Jahr. Beim AFZ könnten bis zu 24 unterkommen. Viele Arbeitgeber würden Lehrstellen anbieten.
Die Flüchtlingsströme reißen nicht ab: Bis zu 400 000 Asylbewerber werden heuer in ganz Deutschland erwartet. Darunter könnten alleine in Bayern 10 000 "Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (UmF) sein. "Davon muss Unterfranken 10,3 Prozent aufnehmen, und davon wiederum der Landkreis Bad Kissingen 7,8 Prozent", berichtete Jugendamtsleiter Siegbert Goll in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Somit könnten heuer bis zu 80 Kinder und Jugendliche ohne Familie zugewiesen werden. Die Folge: "Die Jugendhilfe kommt nicht nur mit den Räumlichkeiten, sondern auch mit dem Personal nicht mehr nach."
Das Bad Kissinger Jugendamt hat die Welle durchaus kommen sehen: Um 1,5 Millionen Euro wurde der Haushalt der Jugendhilfe bereits Ende 2014 aufgestockt. Das gute daran ist, dass der größte Teil der Kosten erstattet wird: 150 Euro erhält der Landkreis pro Tag und betreutem Kind oder Jugendlichen, hieß es in der Sitzung.
Der Landkreis Bad Kissingen hat aktuell 41 UmF in seiner Obhut, erst in der vergangenen Woche wies die Regierung von Unterfranken fünf junge Afghanen zu. Allerdings leben die wenigsten UmF wirklich im Landkreis: Gerade einmal zehn Jugendhilfeplätze stehen vor Ort zur Verfügung. Im Winter-Halbjahr half das Haus Volkersberg dem Landkreis aus der Patsche, indem es zehn Jugendliche aufnahm - aber nur auf Zeit: Im Frühjahr zogen die zehn nach Würzburg um. 16 weitere UmF wohnen derzeit in Schweinfurt.
Konkrete Pläne für weitere Plätze
Im Landkreis selbst wohnen aktuell 15 junge Flüchtlinge: Jeweils zwei im Kinderdorf Riedenberg und im Kinderhaus Münnerstadt, sechs in einer Einrichtung der Diakonie in der Bad Kissinger Maxstraße und fünf in einer Unterkunft in der Promenadestraße. Wie soll es weiter gehen? In Münnerstadt kommen im August acht weitere Jugendliche unter, die 16 aus Schweinfurt und bis zu acht weitere im Campus-Hotel des Arbeitsförderzentrums in der ehemaligen Housing Area (siehe Seite 5).
Mit den beiden Eriträern, die das "Netzwerk für Soziale Dienste" in Münnerstadt betreut, gibt es laut dessen Leiter Karl-Heinz Friedel sehr gute Erfahrungen. "Sie sind hochmotiviert und wollen was erreichen." Im Jugendhilfeausschuss wies Friedel auch auf einen anderen Aspekt hin: "Wir müssen da die Jugendhilfe-Brille abnehmen." Denn: "Sie kommen ja zu uns, weil in ihrem Land ein großes Problem herrscht, aber nicht weil sie ein persönliches Problem haben." Deshalb wollten auch alle schnell einen Beruf lernen: "Die brennen drauf."
Diese Erfahrung hat auch Ralf Sauer, stellvertretender Leiter der Jugendbildungsstätte Volkersberg, bei Praktika gemacht: "Die Betriebe waren allesamt sehr begeistert und positiv überrascht von den Jungs." Und auch die zehn Flüchtlinge seinen "mit Engagement und Herzblut" dabeigewesen. Deshalb hätten auch fast alle Praktikumsbetriebe zurückgemeldet, dass sie sich eine Ausbildung der UmF vorstellen können - unter bestimmten Bedingungen.
"Wir wären grundsätzlich bereit, minderjährige Flüchtlinge als Auszubildende einzustellen", bestätigt Marco Hammer, Geschäftsführer des Fertigbau-Unternehmens "Hanse-Haus" in Oberleichtersbach. Der Betrieb würde sich auch daran beteiligen, die Rahmenbedingungen auszuarbeiten.
Rechtliche und praktische Fragen
So müsse geklärt werden, wie eine effektive sprachliche Förderung gewährleistet werden kann oder wie Fahrten zu Arbeitsplatz und Schule organisiert werden könnten. "Wer ist der Vormund der Minderjährigen? Wie arbeiten wir mit dem zusammen?" lauten weitere Fragen. Aus Hammers Sicht könnten Betrieb und Gesellschaft profitieren: "Die Flüchtlinge erlernen einen Beruf, wir bekommen zusätzliche Fachkräfte, die immer knapper werden", betont der Hanse-Haus-Chef.
Dass Hammer mit dieser Meinung nicht allein ist, berichtete Thomas Schlereth von der Agentur für Arbeit im Jugendhilfeausschuss: "Die Betriebe sind ausbildungsbereit." Auf dem Ausbildungsmarkt sei die Lage angespannt, in vielen Branchen werde händeringend Nachwuchs gesucht. Schlereth schränkte allerdings auch ein, dass aus seiner Sicht viele junge Flüchtlinge noch nicht soweit seien. "Das Problem sind die Deutsch-Kurse", berichtete Thomas Schröter vom Jugendamt aus der Praxis. Wie gut die Flüchtlinge ausgebildet sind, belegte er mit einem Beispiel aus Riedenberg: "Dort haben wir einen Jugendlichen, der vier Sprachen spricht."
Bis zu 24 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen im Campus-Hotel des Arbeitsförderzentrums in der ehemaligen Housing Area untergebracht werden. "Die Verträge sind aber noch nicht unterschrieben, wir wollen erst die Anwohner mitnehmen", stellt Stefan Seufert klar, der im Landratsamt für das Thema Asyl zuständig ist. Deshalb gibt es am kommenden Montag, 13. Juli, eine Infoveranstaltung der Stadt-Jugendarbeit. Beginn ist um 18 Uhr im Campus-Hotel.
Trotzdem laufen parallel die Vorbereitungen: Momentan sei noch viel zu organisieren, sagt Hotel-Leiterin Kerstin Mack. Ihr Kollege Hannes Schnabel führte bereits Vorstellungsgespräche, denn für die 24 Jugendlichen müsste das Personal um neun Fachkräfte aufgestockt werden.
"Eine Art Erstversorgung"
Nicht nur für die jungen, sondern für alle Flüchtlinge werden Wohnraum, Sozialpädagogen, Dolmetscher und Ärzte benötigt - gut ausgebildet und bitte sofort. "Wir wissen um die Schwierigkeiten", sagt Johannes Hardenacke, Pressesprecher der Regierung von Unterfranken. Die "volle Dienstleistung" könne man inzwischen nicht mehr gewährleisten. Was die Behörden sonst schon vor der Ankunft der Jugendlichen organisiert wurde, erfolge jetzt teilweise erst, wenn sie schon da sind.
Jugendamtsleiter Siegbert Goll spricht von "einer Art Erstversorgung": "Wir nehmen sie zunächst in Obhut und geben ihnen ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen." Freilich müsse man dann auch die Betreuung und die medizinische Erstversorgung gewährleisten und die Jugendlichen an eine gewisse Tagesstruktur heranführen, sagt Goll. "Wir brauchen immer einen Jugendhilfeträger." Solange keiner gefunden ist, müssten die Sozialpädagogen des Jugendamts mal "Sonderschichten fahren".
Doch der Zustrom wird bleiben. Nach Golls Angaben wird es jedoch immer schwieriger, Einrichtungen zu finden, in denen man die Flüchtlinge adäquat unterbringen kann. Denn auch den Trägern fehlt das Personal für solche Zusatzaufgaben. Hinzukommt, dass arbeitssuchende Sozialpädagogen auf dem Arbeitsmarkt gerade Mangelware sind. Inzwischen sei von der Regierung die Devise ausgegeben worden, dass man auch Arbeitssuchende aus verwandten Berufsgruppen, wie zum Beispiel Soziologen, Ethnologen, Berufsschullehrer oder Handwerksmeister, in die Flüchtlingsarbeit einbeziehen kann.
In der jüngsten Jugendhilfesitzung wurde zudem über etliche rechtliche Fragen informiert, etwa die Vormundschaft oder die Alterseinschätzung.