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Noch etwas Luft nach oben


Autor: Thomas Ahnert

Bad Kissingen, Sonntag, 16. Juni 2019

Natürlich war es schade, dass der Pianist Shai Wosner sein Recital absagen musste. Erfreulich, dass sich so schnell ein Einspringer fand: der 24-jährige Österreicher Aaron Pilsan.
Der 24-jährige Österreicher Aaron Pilsan (im Bild) sprang kurzfristig für Pianist Shai Wosner beim Kissinger Sommer ein.Gerhild Ahnert


Die Kissinger erinnern sich. 2008 war er schon einmal da, als er sich als Dornbirner Ich-AG mutig gegen die Wunderkinder-Übermacht aus St. Petersburg stemmte - durchaus nicht erfolglos. Jetzt ist aus dem furchtlosen Ritter ein richtiger Pianist geworden.

Obwohl, ein bisschen Luft nach oben ist schon noch wie bei Scarlattis Sonaten G-dur K 13 und A-dur K 113. Da hörte man zwar den Anschlag von Pilsans Mentor Lars Vogt, aber nicht dessen dynamisches Differenzierungsvermögen und Genauigkeit: Der junge Mann bewegte sich auch später vor allem im Mezzofortebereich. Man hätte sich etwa bei Haydns Sonate C-dur Hob. XV:50 mehr Strukturen, mehr Zäsuren, mehr musikalisches Atmen gewünscht. Aber: Dem Witz Haydns, vor allem im Finale, hatte er sich geöffnet.

Und dann ein Dreierblock der demonstrierten Virtuosität: Bei Chopins C-dur-Etüde op. 10/1 kann man eigentlich nichts anderes zeigen als Geläufigkeit der Finger. Bei Rachmaninows Etude-tableau op. 33/4 zeigte Aaron Pilsan, dass er durchaus erzählend gestalten kann, wenn er sich nicht selbst unter Druck setzt. Und Franz Liszts Etüde trancendante Nr. 8, ("Wilde Jagd") geriet im ausgesprochen fabelhaft, weil er trotz der enormen technischen Anforderungen die Gestaltung in den Vordergrund rückte.

Nach der Pause, bei Schuberts c-moll-Sonate D 958 hatte Aaron Pilsan seine Musik gefunden, da war er ganz bei sich. Da ging es nicht um romantische Kleinteiligkeit, sondern um lange Bögen und um die Tragfähigkeit von Ideen. Da hatte er Konzepte, da konnte er auch einiges von sich selbst zeigen, da gestaltete er Zusammenhänge und Kontraste. Da war er schließlich individuell.