Druckartikel: Nach dem Krieg kommt das Vorurteil

Nach dem Krieg kommt das Vorurteil


Autor: Benedikt Borst

Bad Kissingen, Sonntag, 03. November 2013

Für die Bundeswehr ist die Mission Afghanistan beendet. Viele Soldaten kehren zurück und sehen sich mit Unverständnis und Vorurteilen konfrontiert.
Die Blaue Moschee in Masar e Sharif ist die wichtigste muslimische Pilgerstätte Afghanistans. Fotos: privat


Einer, der dieses Problem kennt ist Wolfgang Sander (Name geändert, Anm. d. Red.) aus dem Landkreis Bad Kissingen. Er war immer gegen den Afghanistan-Krieg. Und gegen eine Beteiligung der Bundeswehr. Als Sander im Frühjahr 2007 bei seiner Einheit in Ellwang den Einsatzbefehl erhielt, rückte er trotzdem aus und leistete ein halbes Jahr lang in Masar e Sharif seinen Dienst.

Obwohl er nie wollte, obwohl er während der Schulzeit staatskritischen Punkrock hörte und selbst in einer Punk-Band Gitarre spielte. Er befand sich plötzlich mitten in einem Krisengebiet wieder, in dem sich Taliban-Kämpfer einen Guerilla-Krieg mit westlichen Soldaten lieferten.

"Ich war nie ein überzeugter Soldat", sagt der 28-Jährige. Dennoch: Er verlängerte nach dem Wehrdienst und verpflichtete sich für wenige Monate auf Zeit, um sich Geld für das Studium anzusparen. Damit sei er nicht allein gewesen, viele Kameraden seien nur aus finanziellen Gründen das Risiko eingegangen. "Mir war natürlich bewusst, dass ich auch in Afghanistan eingesetzt werden kann, wenn ich verlängere." Aber er wusste auch, dass das Risiko für ihn überschaubar war.

Schwelende Gefahr

Sander war Fahrer in einer Ausbildungseinheit, die die afghanische Armee unterstützte. Mit einem "ATF Dingo", einem gepanzerten Lkw, war er meist im Schutz einer Kolonne zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Lager unterwegs. Beinahe täglich durchquerten sie die Stadt von Ost nach West, stets an der Blauen Moschee, einem wichtigen muslimischen Pilgerort, vorbei. Manchmal besuchten sie abgelegene Dörfer, um die medizinische Versorgung der abgeschnittenen Bevölkerung zu gewährleisten.

Als Teil des Funktionspersonals, da war er zuversichtlich, würde er wahrscheinlich nicht in Kämpfe verwickelt. "Aber klar, es war gefährlich. Es kann immer etwas passieren. Ich bin mit ungutem Gefühl gegangen", sagt Sander. Den Marschbefehl hat er akzeptiert. Er hatte Glück: Ohne einen einzigen Schuss abfeuern zu müssen, kehrte er in seine Heimatgemeinde zurück. Selbst wenn viele Deutsche dem Einsatz heute ablehnend gegenüberstehen, und selbst wenn es Menschen mit radikalen Ansichten gibt, für die jeder Soldat ein potenzieller Mörder ist: Sander wurde nie offen wegen seiner Uniform angefeindet. In der Regel wurde er mit mildem Desinteresse aufgenommen. "Den Meisten war das echt egal", sagt er.

Viele Vorurteile

Ihn stört, wie pauschal das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wie einfach die Leute zu einem Urteil über den Krieg am Hindukusch kommen, obwohl sie nichts über die Umstände wissen. "Darüber habe ich mich oft geärgert. Andererseits: Woher sollen die Leute denn wissen, wie der Alltag in Afghanistan aussieht?", denkt er sich.

Peter Memmert, Pressesprecher der Bundeswehr in Wildflecken, wünscht sich einen fairen Umgang in der Öffentlichkeit mit Soldaten. "Wer im Einsatz war, wer sich darauf vorbereitet hat und das dann auch durchgestanden hat, ist sehr sensibel für Kritik", sagt er. Dass über Afghanistan in den Medien vor allem politisch und emotional gestritten wird, empfindet er insofern als unfair, weil allzu oft der Sachbezug fehlt.

Thörn Plöger, Verwaltungsleiter der Hescuro-Klinik Bad Kissingen, weiß um das Verständigungsproblem zwischen Bevölkerung und Soldaten. Die psychosomatische Klinik arbeitet seit der Gründung 2010 eng mit der Bundeswehr zusammen und betreut Soldaten, die mit gesundheitlichen Problemen aus Einsätzen zurückkehren. "Afghanistan wird von der Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt", sagt Plöger. Es wolle sich etwa niemand bewusst machen, dass der Krieg gegen die Taliban (zwölf Jahre) bereits länger dauere, als beide Weltkriege (zehn) zusammen. In Deutschland werde viel verdrängt.

Andersherum öffnen sich Soldaten nur zurückhaltend gegenüber Außenstehenden. Plöger: "Man bespricht das lieber unter Soldaten, weil die wissen, um was es geht." Wer nicht dort gewesen sei, heißt es dann oft, könne gar nicht wissen, was da abgeht. "Viele haben schlimme Sachen erlebt", sagt Plöger. Das gelte für Kampfeinsätze genauso wie für das Leben innerhalb eines Lagers. "Ob sie Freizeit haben oder nicht. Sie müssen immer eine Waffe bei sich tragen." Die Angst vor einem Angriff ist allgegenwärtig.

Bürger in Uniform

Der ehemalige Soldat Sander wünscht sich, dass die Öffentlichkeit mehr differenziert: Einerseits zwischen den politischen Entscheidungen, in den Krieg zu ziehen, und den Soldaten andererseits, die ihren Kopf hinhalten. "Der Soldat ist der größte Kriegsgegner, denn ihn erwischt es als erstes", sagt er.

Auch Plöger spricht sich für einen anderen öffentlichen Umgang aus: "Der Soldat sollte als Bürger und Mensch gesehen werden." Gleichzeitig bricht er, wie auch Peter Memmert, eine Lanze für die Region Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld. "Hier sind die Soldaten akzeptiert", findet Plöger. Das sei nicht überall selbstverständlich.