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Münnerstädter Poetry Slam: Wortkunst für den Kopf


Autor: Hartmut Hessel

Münnerstadt, Sonntag, 03. Februar 2019

Dichtung, Lesung, Show: In der ausverkauften Alten Aula traten Autoren zum Wettkampf an.
Gelächter beim Auftritt von Maurice Massari in der alten Aula. Hartmut Hessel


Ausverkauft! Eine Dichterlesung? In der Provinz! Ja, und das noch in Münnerstadt. Besser hätte es gar nicht für die neue Event- Kooperation zwischen den Kulturverantwortlichen im Deutschordensschloss und dem Altstadtverein, insbesondere dem "else" Team, laufen können. Beide haben mit dem Poetry-Slam in der Alten Aula eindrucksvoll zu einer weiteren Bereicherung beigetragen. Gewiss, der "Poetry Slam" ist wie so oft, wenn englische Slogans etwas möglichst einfach beschreiben sollen, nichts anderes als ein Wettstreit um einen selbstgeschriebenen Text. Das Besondere - und hier lassen die USA grüßen - ist das Regelwerk, welches um die verschiedensten Geschichten herum aufgebaut ist. Es ist der Versuch, den Teilnehmern und Teilnehmerinnen gleiche Bewertungskriterien zu ermöglichen, um am Ende einen Sieger oder Siegerin zu küren.

Bewerten kann das Publikum, aber auch eine Jury, die - wie in Münnerstadt geschehen - vom Moderator Manfred Manger aus Schweinfurt mehr oder weniger willkürlich aus den Gästen der Veranstaltung ausgewählt wurden. Sieben Stimmen waren es diesmal gewesen, wobei in der Wertung von Null bis Zehn die höchste und die niedrigste Ziffer gelöscht wurde. Dem stellten sich insgesamt neun Frauen und Männer in einer Vorrunde und einem Finale. Wichtig für den "Slam"(Wettstreit) der Dichter ist auch der DJ: einmal optisch als Bühnendeko und dazu auch akustisch, um Einzug und Auszug der Wortakrobaten, Beifall und andere wichtige Ereignisse mit Tönen zu untermalen.

Sechs Frauen und vier Männer kamen nach Münnerstadt, um die geistigen Ergüsse, wo immer sie auch entstanden sein mögen, übers Publikum zu schütten - mit der flehentlichen Bitte, diese, ihre ureigensten Texte in passenden Schubladen zu speichern.

Es geht um Emotionen, welche der Geschichten geht einem nahe? Wie lässt sich das Erzählte ins eigene Ich hineinpflanzen? Wer sich als Zuhörer den Kriterien stellt, muss dann Oberflächlichkeit und Tiefsinn trennen, lässt Klamauk und Humor miteinander spielen. Kann in der Folge das Auge die Gestik der "Slamer" auf der Bühne mit der Aussagekraft ihrer Texte in Einklang bringen? Das alles weckt Erwartung und der hat dieser Poetry Slam voll entsprochen.

Junge Menschen fühlen sich dieser Lesungsvariante besonders verbunden, und ein großer Teil von ihnen bewunderte erstmalig die altehrwürdige Renaissance-Halle inmitten der Altstadt. Die "Opferlamm-Marie" war zum Warm-up eingeladen, ohne Wertung, dafür aus der Gegend, aus Rothhausen und Frischling in der regionalen "Slamer" Szene, die sich in und um Schweinfurt herum gebildet hat. Dort werden, so Moderator Manfred Manger, seit einigen Jahren regelmäßig Poetry Slams an verschiedenen Orten veranstaltet.

Geben die Geschichten, die nach den Regeln "respektvoll" sein müssen, also keinerlei Beleidigungen oder Diskriminierung erhalten dürfen, nun die Persönlichkeit des Erzählers der Erzählerin wieder, oder wird mit der Geschichte eine Fassade aufgebaut, die bereits mit dem Vortrag einzustürzen beginnt? Niemand kann seinen Charaktereigenschaften entkommen. Wenn wir Kriterien wie lustig, ernsthaft, traurig, humoristisch, nachdenklich oder gar aufdringlich zum Maßstab machen, ist dieser Dichterschar hinter dem Mikrofon eine eindrucksvolle Schau von Mitgefühl gelungen.

Sehr viel war von Beziehungen die Rede, von Liebe, von Lust, von Leidenschaft. Es kamen Vorlieben, banale Geschehnisse zum Vortrag. Ulkige Begebenheiten in abstrusen Situationen wurden genussvoll mit Worten zelebriert. Einige brauchten keine Gesten zum Erzählen, anderen, vor allem der späteren Siegerin Jessy James LaFleur aus Berlin, gelang es mit zum Teil wilden, aber immer gekonnten körperhaften Darstellungen die Ausdruckskraft ihre Texte zu unterstreichen.

Jemand wie Trulla aus München sprach eindringlich, mit wenig Pathos in der Stimme, jedoch mit der Empfindlichkeit einer Verwundung in der Beziehung zum Alkohol, dem nur vermeintlich besten Freund, während Oliver Walter nicht selten über seine eigene Schreibe lachen musste. Auch MO (Maurice Massari) aus Passau, "völlig ohne niederbayerischen Akzent", freute sich diebisch über seine verbalen, lustvollen Frechheiten. Schon im Alltag reden wir ständig übers Wetter, Korbinian Schmid aus München hat es auf der Bühne versucht, anerkennenswert, es reichte jedoch nicht fürs Finale. Ebenso für Martin Weyrauch, der sich schweißgebadet mit einer "Bestie" auseinandersetzte und Isa Niklas aus Marburg, sowie Ezgin Zengin aus Augsburg.

Im Finale galt es noch mal eins draufzusetzen, Text in Sprache zu performen, seinem dichterischen Ich einen Sinn zu geben. Die zwei Männer und zwei Frauen, allesamt keine Neulinge beim Poetry Slam, setzten wirklich noch mal neue Akzente. Gewonnen hat am Ende -verdientermaßen - die Show von Jessy James LaFleur. Gefühlt 1000 Musiktitel hatte sie zu einem Band an gefühlsbetonten Geschichten zusammengesetzt und sie theatralisch aufbereitet. Da flog schon mal der Mikrofonständer und auch die Dichterin räkelte sich "verletzt" am Boden.

Jessy James LaFleur ist seit Jahren "ohne festen Wohnsitz", wie sie von sich sagt, ist im Dreiländereck von Aachen aufgewachsen. Sie tingelt also für ihre Klein-Kunst durch Europa, macht mit ihrem Freund Musikprogramme und ist ständig Gast auf der Bühne. Das schafft Professionalität, die längst auch bei den Poetry Slamern angekommen ist. Angeblich ist der Siegerpokal in Münnerstadt nur eine Flasche "Mürschter Tropfen" . Eine nette Geste, doch das reicht für Künstler nicht zum Leben. Satt war jedenfalls der Kopf - mit Wortkunst.