Druckartikel: Wünsche, Freundschaft und Hilfsbereitschaft

Wünsche, Freundschaft und Hilfsbereitschaft


Autor: Thomas Ahnert

Maßbach, Montag, 28. November 2022

In "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel" trifft der Vertreter der alten Schule auf den Cheflobbyisten der Weihnachtsindustrie. Die Schauspielenden sorgen für ein hochkonzentriertes, temporeiches, von steten Rollenwechseln geprägtes Spiel. Und es gab überraschende Aktionen.
Ende gut, alles gut! - Der Weihnachtsengel Mathilde lässt fast echte weiße Schneeflocken rieseln. Foto: Sebastian Worch


Ein Weihnachtsstück für Kinder ab sechs Jahren - da stellt man sich Vorfreude, glänzende Augen, Friede, Freude, Eierkuchen, ein bisschen Lichterglanz und Lametta vor und natürlich einen Weihnachtsmann mit rotem Mantel und weißem Rauschebart. Aber man wird schon ein bisschen vorsichtiger, wenn man den Titel des Weihnachtsstückes von Cornelia Funke liest oder hört, das die Maßbacher jetzt in der Lauertalhalle aus der Taufe gehoben haben: "Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel".

Da muss mit ihm oder seinem fliegenden Rentierschlitten irgendetwas passiert sein. Mit Abstürzen ist nicht zu spaßen. Bedeutet, dass etwa, dass Weihnachten demnächst ausfällt?

Raue See und ein gelbes Schlauchboot

Fast! Aber fangen wir von vorne an: Der Beginn ist wirklich dramatisch: eine dunkle Bühne, eine bedrohliche Klangkulisse aus tobendem Sturm und brechenden Wellen und einem brutal arrangierten Ausschnitt aus Antonio Vivaldis "Winter" aus den "Vier Jahreszeiten". Ungemütlicher geht's nicht. Aber es taucht nicht ein havarierter, triefend nasser Weihnachtsmann auf, sondern ein großes, gelbes Schlauch- oder Rettungsboot fliegt auf die Bühne, hinter dem fünf Leute auftauchen: Alexander Baab, Tonja Fechter, Marc Marchand, Silvia Steger und Nikolas Weber. Richtig, das sind die Namen der der fünf Schauspieler. Rollennamen werden nicht genannt. Dazu sind es zu viele, in die sie alle schlüpfen müssen, und immer wieder wird eine Rolle auch von verschiedenen Leuten gespielt. Das klingt verwirrend, ist es aber nicht, denn die Zuordnung ergibt sich aus der Handlung, und immer wieder werden auch die Namen eindeutig genannt.

Waldemar Wichteltod und seine brutalen Nussknacker

Das sitzen sie nun im Irgendwo, die vier Gestrandeten, die offenbar auf der Flucht sind und nur das mitnehmen konnten, was sie am Leib tragen oder was in einen kleinen Rucksack passt - also auch keine Weihnachtsgeschenke oder etwas Süßes - und beginnen, weil sie nichts anderes tun können, Geschichten zu erzählen. Ein bisschen erinnert das an Giovanni Boccaccios "Decamerone". Und da dort, wo sie vielleicht hin wollten, eben bald Weihnachten ist, kommen sie genau auf dieses Thema, erzählen sich die Geschichte vom echten Weihnachtsmann Niklas Julebukk, der mit seinen Weihnachtskobolden vor Waldemar Wichteltod und seinen brutalen Nussknackern fliehen muss, den Wichteltod versucht, die Herrschaft über das Weihnachtsland an sich zu reißen. Bei einer Notlandung gerät Julebukk in eine Wohnstraße - und damit in die Realität - und trifft auf Ben und Charlotte, die zufällig da sind, aber sich ziemlich schnell anfreunden.

Julebukk braucht die Hilfe der beiden, denn alleine kann er es nicht schaffen, den Kindern den Wunsch nach weißen Weihnachten zu erfüllen. Aber die beiden geraten in einen Hinterhalt von Waldemar Wichteltod. Mehr sei nicht verraten, aber man kann sich ja vorstellen, wie ein Weihnachtsstück ausgeht, wenn es am Ende ein Schneetreiben gibt und Charlotte Benn zum Weihnachtsessen einlädt.

Viele bunte, durchaus auch lustige Einfälle

Christina Schidlowsky hat das Stück für die Maßbacher inszeniert, und es ist erstaunlich gut gelungen, mit vielen bunten, durchaus auch lustigen Einfällen das Spiel zu verdichten und trotzdem die wichtigen Linien immer sichtbar zu halten. Denn im Grunde geht es in der Auseinandersetzung zwischen Julebukk und Wichteltod um zwei verschiedene Konzeptionen des Festes jenseits der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums. Es geht also nicht um die Geburt von Jesus, sondern um den das Fest begleitenden Mythos vom Weihnachtsmann. Julebukk ist der Vertreter der alten Schule, der seine Kobolde ausschickt, um den Kindern ihre Wünsche abzulauschen und diese dann mit handwerklichen oder organisatorischen Mitteln zu verwirklichen. Da bieten sich viele kleine poetische Ecken. Sein Kontrahent Wichteltod ist die Cheflobbyist der Weihnachtsindustrie, für den sich das Fest und das Schenken zuallererst in Sonderkatalogen abspielt, für den Weihnachten ein lukratives Großereignis sein muss. Deshalb muss Julebukk auch verschwinden. Aber es tauchen natürlich auch andere Themen auf wie das Wünschen, Freundschaft oder Hilfsbereitschaft.

Es ist interessant zu beobachten, wie der Handlungshauptstrang eigentlich immer unwichtiger wurde, weil es so viel zu sehen und zu entdecken gab, weil man sehr konzentriert sein musste, wenn man den Schluss nicht verlieren wollte. Kinder tun sich damit ja erheblich leichter.

Neugier immer in Alarmstimmung

Es war insgesamt ein hohes Tempo, das die Spannung nie absinken ließ, das die Neugier immer in Alarmstimmung hielt. Und wenn es nur Randerscheinungen waren, wie das unsichtbare Rentier von Julebukk, das nach der Havarie abgehauen war und das Charlottes Hund mit seiner Nase finden sollte. Schon der Hund war köstlich: ein Einkaufsrucksack zum Hinterherziehen oder Vorsichherschieben mit einem kleinen Hundegicht aus der Verschlussklappe und einem Riemenschwanz zum Wedeln. Natürlich fand der Hund das Rentier, und der Umgang mit ihm war wirklich köstlich. Denn erkennen konnte man es ja an einem weißen Band, das zum Zaumzeug wurde, um mit dem Tier davonzuziehen. Oder der Weihnachtsengel Mathilde, gespielt von Marc Marchand oder Tonja Fechter: eine weiße Gestalt, deren Flügel die beiden Ruder des Bootes mit ihren weißen Ruderblättern waren. Nein, da war enorm viel Fantasie im Spiel und auch viel Raum für die Fantasie der Kinder, die natürlich auch durch das Bühnenbild von Peter Picciani und die bunten Kostüme von Jutta Reinhardt beflügelt wurde. Eine bildmächtige Inszenierung.

Großes kollektives Kompliment

Die fünf Schauspielenden lassen sich nicht wirklich an konkreten Einzelrollen festmachen. Deshalb kann man ihnen nur als Gruppe - und da trifft es niemanden zu Unrecht - ein großes kollektives Kompliment machen für ihr hochkonzentriertes, temporeiches, von steten Rollenwechseln geprägtes Spiel und überraschenden Aktionen. Wichteltod und seine Nussknacker sind - zumindest im Stück - erfolgreich vertrieben, und der Weihnachtsengel Mathilde lässt fast echte weiße Schneeflocken rieseln. Der große Traum der Kinder hat sich erfüllt; Weihnachten kann kommen.