Wenn der Fundus im Theater Maßbach zum Irrenhaus mutiert
Autor: Thomas Ahnert
Maßbach, Dienstag, 19. März 2019
Die Maßbacher Jugendtheatergruppe zeigt eine rasante Mischung aus Abstrusem, Konfusem, Albernen, Pseudoernstem, zu kurz Gedachtem, zu weit Gedachtem und Aneinander-vorbei-Gedachtem.
Irrenhaus hat man ja eigentlich jeden Tag. Da muss man ja oft gar nicht das Haus verlassen. Man muss ja nur die Zeitung aufschlagen oder den Fernseher oder das Radio oder das Smartphone einschalten - oder sich in den eigenen vier Wänden umhören. Und dann soll man gerade deshalb rausgehen ins Theater? Man sollte, denn man würde etwas verpassen: "Mr. Pilks Irrenhaus" des Engländers Ken Campbell (1941 bis 2008), eine quietschbunte szenische Collage, ziemlich durchgeknallt, ziemlich britisch in ihrem Humor, immer wieder überraschend, mitunter rätselhaft, aber absolut genießbar ohne Risiken und Nebenwirkungen. Wer sich das nicht vorstellen kann, denke nur an das aktuelle Londoner Unterhaus - und dann trotzdem noch eins drauf.
Julika Kren, die Theaterpädagogin der Maßbacher, hat mit ihrer Jugendtheatergruppe dieses schrille Stück auf die Bühne des TiP, des Theaters im Pferdestall, gebracht. Und um gleich noch eine gesicherte Information weiterzugeben: In dieser Gruppe spielen Michelle Haberkorn, Katrin Heinrichs, Johannes Rösch, Fanny Schmidt, Hannah Theel und Hannah Thome. Aber dann beginnt schon das Reich des Spekulativen. Denn es ist nicht wirklich zu erkennen, inwieweit die Truppe den Originaltext von Campbell zugrunde gelegt hat. Wenn sie es getan hat, spricht das für das mittlerweile doch bald 50 Jahre alte Stück. Wenn sie es ausgeweidet und bearbeitet hat, spricht das für die Truppe.
Im Fundus zum Leben erwacht
Schon die Wahl des Ortes ist ein kleiner Geniestreich. Das Stück spielt entgegen dem Titel nicht in einem Irrenhaus. Das hatte mit Dürrenmatts "Physikern" vielleicht sein letztes großes Bühnenleuchten. Und auch die Irrenwitze wurden schon vor vielen Jahren von den Ostfriesenwitzen abgelöst, die es auch längst nicht mehr gibt. Es spielt auch nicht in einem Spiegelkabinett, sondern in einem Raum, den es im Theater ohnehin gibt - aber da muss man auch erst mal draufkommen: im Fundus (Christian Lingg hat sich mit dem Bühnenaufbau eine Riesenarbeit gemacht, aber das passiert halt, wenn man die Sache ernst nimmt). Da klemmen die sechs jungen Leute irgendwie in den Fächern, wie Puppen, die gerade nicht gebraucht werden. Und als das Licht angeht, erwachen sie langsam zum Leben.
Wobei die Verortung im Fundus mit seinem ganzen nicht gebrauchten Plunder auch ein raffinierter Trick ist. Denn die sechs Jungschauspieler können sich mit dem ganzen Kram befassen, wenn sie einmal nichts zu sagen haben, müssen nicht auf interessiertes Standby schalten. Und es ist der Zuschauer, der überlegen muss, ob das Gefummel jetzt wichtig ist, zum Stück gehört. Der wird überhaupt ständig gefordert, weil ständig irgendwo die abstrusesten Dinge passieren und verdreht werden, weil er bei der Sinnsuche nicht hinterherkommt - und das ist ja auch beabsichtigt.
Kalkuliertes wirkt spontan
"Mr. Pilks Irrenhaus" im TiP, das ist eine rasante Mischung aus kleinen Geschichten und Interaktionen, aus Abstrusem, Konfusem, Albernen, Pseudoernstem, zu kurz Gedachtem, zu weit Gedachtem, Aneinander-vorbei-Gedachtem. Es wirkt mitunter spontan und improvisiert, obwohl jedes Wort, jede Geste auskalkuliert sind.
Aber in diesen ganzen köstlichen Absurditäten gibt es auch kleine Sketche, die Otto Normalhirn das geistige Aufholen ermöglichen. Einige sind mit Sicherheit von Ken Campbell: Ein Mann steigt auf das Dach eines Hochhauses, um herunterzuspringen. Oben trifft er einen Penner, der dort die Nacht verbracht hat. Der, ganz Pragmatiker, schnorrt den Man an: Seinen Mantel bräuchte er jetzt doch nicht mehr, natürlich mit Brieftasche - den Abschiedsbrief darf er aber rausnehmen - auch die Hose und die Schuhe wären ganz gut. Der Mann ist schließlich so genervt, dass er die Lust am Absprung verliert.
Aus der Nummer nicht herauskommen
Eine andere Geschichte ist die von dem Hinterzimmerphilosophen, der über das Nachdenken nachdenkt, um nichts denken zu müssen, und der seinen Kopf so lange mit Leere füllt, bis er in seinem Arschloch verschwindet. Oder die beiden Kerle, die aus Angst vor Spionen beschließen, immer das Gegenteil von dem zu sagen, was sie denken. Natürlich merken sie, dass das nicht funktioniert, aber sie kommen auch nicht mehr aus der Nummer raus, weil sie nicht wissen, wo der Punkt ist, an dem der andere wieder das Richtige sagt. In Ken Campbells Hirn muss es ziemlich wüst zugegangen sein. Aber sein Mr. Pilk war ja auch hochgradiger Alkoholiker. Der Spuk hat erst ein Ende, als Tim Bessel mit dem lauten Staubsauger in die Requisitenkammer kommt und das richtige Leben wieder herstellt. Die Figuren kehren in ihre Regale zurück.