Druckartikel: Was von 381 Jahren Rothenrain übrig blieb

Was von 381 Jahren Rothenrain übrig blieb


Autor: Stephanie Elm

Oberbach, Montag, 03. Juli 2017

Jahrzehntelang hat Walter Kömpel alles über das abgesiedelte Dorf Rothenrain gesammelt. Jetzt hat er eine Chronik herausgegeben.
Der Kleine Auersberg im Hintergrund, wo von 1557 bis 1938 Rothenrain gelegen hatte. Über das abgesiedelte Dorf hat Walter Kömpel (Mitte) eine Chronik geschrieben. Unterstützt wurde er von Co-Autor Matthias Elm (rechts) und Layouter Karl Hahn.  Foto: Stephanie Elm


Den Kleinen Auersberg hat Walter Kömpel fast immer vor Augen - den "Hausberg von Oberbach". 381 Jahre lang existierte an dessen Fuße das Dorf Rothenrain. Über das einstige Dorf hat Walter Kömpel nun eine Chronik geschrieben.

"Mich faszinieren alle abgesiedelten Ortschaften auf dem Truppenübungsplatz", so der 57-Jährige. Die Sammelleidenschaft fing eigentlich bereits in den 90er Jahren an, als er in den Besitz von alten Aufzeichnungen eines ehemaligen Rothenrainers gelangte. Zunächst blieb das Thema in der Schublade liegen.

Vor circa eineinhalb Jahren jedoch wünschten viele ehemalige Rothenrainer und deren Nachkommen, die alte Dorfstelle einmal besuchen zu können. Diesen Wunsch erfüllte Walter Kömpel gerne, es war außerdem eine perfekte Gelegenheit, seine Daten, die er im Laufe der Jahrzehnte angesammelt hatte, zu ergänzen. Zahlen und Statistiken sind das Eine, lebendige Erinnerungen, ausgeschmückt mit Bildern, das Andere.


Informatives Treffen

"Mit allen, die beim Rothenrainer Treffen waren, habe ich gesprochen", erzählt Walter Kömpel. Ein "wahnsinniger Fundus an Bildern" ist zusammengekommen. Leider waren im Gemeindearchiv "nur noch 15 laufende Zentimeter zu finden, was von 381 Jahren übrig geblieben ist", bedauert Kömpel. Doch der Oberbacher sah das als Herausforderung: "Ich wusste, was ich machen will, wie ich's machen will und wo ich suchen muss." Mit allen Informationen aus Archiven, Zeitungen und Intelligenzblättern sowie der Fülle an Erinnerungen und Fotos der ehemaligen Rothenrainer machte er sich Ende vergangenen Jahres an seine "Winterarbeit", das Schreiben.

Auf 224 Seiten mit mehr als 200 Bildern ist sie nun nachzulesen, die Geschichte von Rothenrain. 1557 wird Rothenrain gegründet. Zwölf Siedlerfamilien sollten am Fuße des Kleinen Auersberges fuldische Übergriffe verhindern. Die Kinder, die nach Oberbach in die Schule gehen mussten, hatten einen beschwerlichen Weg.

Ein ebenso beschwerlicher Weg war es für den Ort, endlich zu einem eigenen Schulhaus zu kommen. Fast vier Jahre lang beriet, diskutierte und debattierte man, denn ein Schulbau muss bezahlt werden, doch war Rothenrain von einem "armen, kärglichen Leben" geprägt. Die Landwirtschaft war von schlechtem Wetter und Missernten gebeutelt, die Bewohner hatten sich verschuldet, nur um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben trieb auch so manchen Rothenrainer in die Ferne. Um 1734 verließ der erste Rothenainer das Dorf und ging nach Ungarn. Circa 100 Jahre später erreichten die ersten Amerika-Auswanderer den Hafen von Baltimore. Goldfunde in Kalifornien, darüber war im Jahr 1871 im Brückenauer Anzeiger zu lesen, hatten die Sehnsüchte der Bewohner von den kleinen, ärmlichen Dörfern in der Rhön beflügelt.

Das für Walter Kömpel spannendste Kapitel war neben der Auswanderung die Recherche über "Besondere Bürger", insbesondere über Joannes Schumm, der mit 22 Jahren in den Franziskanerorden eintrat. Drei Mädchen der Großfamilie Baumgart, die in Amerika geboren wurden, waren dem Orden "Adorers of the Precious Blood of Christ" beigetreten. Durch die Recherche fand Walter Kömpel gute neue Kontakte in die USA.

Gerüchte über eine Absiedlung von Rothenrain wurden noch im Jahre 1936 dementiert. 1937 wurde die letzte Ernte eingefahren, im Frühling 1938 war Rothenrain verlassen. Zum Zeitpunkt seiner Absiedlung zählte das Dorf 186 Bewohner.

Ein "Wahnsinnskapitel", so sagt Walter Kömpel, hat Co-Autor Matthias Elm beigesteuert. Im Häuserbuch kann man detailliert nachverfolgen, wer wann in welchem Haus wohnte. "Es ist ja für den Leser schön, wenn er etwas über seine Vorfahren lesen kann", so der Speicherzer.

Über die standesamtlichen Unterlagen ab 1876 sowie die Kirchenbücher im Diözesanarchiv in Würzburg kamen die Daten zu jedem der 38 Häuser zusammen. Die ältesten Daten waren im Zinsregister von 1563 zu finden, eine Zuordnung zu den einzelnen Häusern war jedoch erst ab Ende des 17. Jahrhunderts möglich.

Doch "was nützt es, wenn alle gesammelten Daten nicht ansprechend gestaltet werden?" Walter Kömpel holte Karl Hahn mit ins Boot. Berufsbedingt bringt der gelernte Mediengestalter Wissen und Ideen zum Layout mit, sowie viel Erfahrung mit Druck und Verlagen. Routiniert machte sich der Brückenauer ans Werk, hat sich intensiv mit dem Thema befasst und hin- und her überlegt, bis das Layout schließlich stand. Überzeugt ist er von der "antiken Schrift", die am leserfreundlichsten sei. "Spielereien" wie die Zeittafel liefern Hingucker und machen die Rothenrainer Chronik zu einem "Juwel der Heimatgeschichte", so Walter Kömpel. Großen Dank zollt der Oberbacher auch den Mit-Autoren Ingo Queck, Joachim Urban und Guido Sauer, der mit Gerwin Kellermann zudem das Korrekturlesen übernommen hat.

Zur Geschichte des Dorfs

Rothenrain
wurde 1557 gegründet. Die erste Kapelle wird 1738 errichtet. 1802 erhält das Dorf Wirtschaftsrecht. Eine eigene Schule erhielt Rotherain 1834. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wandern Bewohner nach Ungarn aus, circa 100 Jahre später verlassen die ersten Nordamerika-Auswanderer den Ort. 1862 wird Rothenrain dem Bezirksamt Brückenau einverleibt. Das Vereinsleben wurde dort ebenfalls gepflegt: 1884 wurde der Musikverein Rhönkränzchen gegründet, vier Jahre später der Feuerwehrverein. Im Dezember 1925 gibt es elektrisches Licht. Ab 1935 gehörte Rothenrain zur Gemeinde Wildflecken. Bereits zwei Jahre später verlassen die ersten das Dorf, das am 15.04.1938 endgültig geräumt war.

Die Chronik mit dem Titel "Rothenrain - ein unvergessenes Dorf" ist über Walter Kömpel zu beziehen, und zwar unter Tel.: 09749/614 oder wkoempel@t-online.de. blm