Druckartikel: Unter all den Schätzchen lauern Schätze

Unter all den Schätzchen lauern Schätze


Autor: Thomas Malz

Münnerstadt, Freitag, 16. November 2018

Hartmut Hessel betreibt sein "Schätze & Co - das Antiquariat" in einem ehemaligen Leerstand seit nunmehr drei Jahren. Immer wieder gibt es Überraschungen.
Hartmut Hessel pflegt den Nachlass von Eugen Kogon in sein Antiquariat ein. Die Bücher hatte der Publizist  zur Recherche seines Werkes "Der SS-Staat" genutzt. Sogar zwei Briefe lagen dazwischen. Thomas Malz


Eigentlich ist es Routine: Hartmut Hessel hat wieder einmal eine Bücherlieferung aus einem Nachlass bekommen. Bei der Sichtung fallen die vielen kleinen Zettel zwischen den Seiten auf. Einige der Bücher erweisen sich als absolute Raritäten. Und es sind zwei Briefe darunter, gerichtet an den Publizisten, Soziologen und Politwissenschaftler Eugen Kogon. Er hat die Bücher als Grundlage für sein bekanntes Werk "Der SS-Staat" benutzt. Hartmut Hessel steht vor dessen Nachlass. Nun werden sich die Bücher zu ihren rund 16 000 Kollegen in den Regalen des Antiquariats am Münnerstädter Anger gesellen.

Es ist ganz genau drei Jahre her, zum Weihnachtsmarkt 2015 hat Hartmut Hessel die Tür zu seinem Antiquariat zum ersten Mal geöffnet. Als Kindergarten und Café hatten die Räume in den Jahrzehnten davor unter anderem gedient, die letzten Jahre standen sie leer. "Ein Jahr hatte ich mir gegeben zum Probieren", sagt er. Nun sind es schon drei. Und er möchte es eigentlich höchstens so lange machen, bis er 70 Jahr alt ist. Bis 2020, so meint Hartmut Hessel, wird er sein Schätze & Co weiter betreiben und dann möglichst in gute Hände übergeben. Das müsste jemand sein, der Freude an der Sache hat, denn: "Man kann nicht davon leben." Der wichtigste Aspekt ist für den ehemaligen Lehrer der Spaß an der Arbeit. "Ich habe jeden Tag mit Kunden zu tun, die mir viel erzählen", sagt er. Und natürlich mit Sammlungen, unter denen manche aus Berlin, aus Süddeutschland und sogar aus der Schweiz stammen, alle aus dem Dunstkreis von Bekannten, denn bisher funktioniert sein Antiquariat ausschließlich über Mundpropaganda. Ein absolutes Highlight war die Privatbibliothek einer bekannten Industriellen-Familie aus Bad Neustadt. 25 Umzugskartons mit geschätzten 3000 Büchern. "Ich nehme immer alles, wähle nicht aus", erläutert Hartmut Hessel. Das macht es für die Buchspender leichter.

Viel Zeit verbringt er damit, die Bücher in Verkaufsplattformen im Internet einzustellen, auf www.booklooker. de und auf www.buchfreund.de. 1100 Bücher hat er inzwischen eingepflegt. "Damit könnte man viele Stunden in der Woche verbringen", sagt er. Aber alles muss das richtige Maß haben.

Viel Freude hat er an dem jetzt erhaltenen Recherche-Nachlass von Eugen Kogon, der von 1903 bis 1987 gelebt hat. Nach so vielen Jahren ist der Nachlass aus dem Bekanntenkreis Kogons zu ihm gelangt. "Das macht das Ganze spannend. Nicht nur, dass man ein Buch in der Hand hat, man kennt auch den Hintergrund." Und das eine oder andere Buch ist so selten, dass Hartmut Hessel ein wenig mehr dafür verlangen kann als dies bei den meisten anderen Büchern der Fall ist. "Das sind die kleinen Schätzchen, die man braucht um zu überleben." Sachbücher haben oft schon von vornherein eine geringe Auflage.

Durch sein Antiquariat ist Hartmut Hessel ganz dicht dran an der Geschichte. Das findet er auch richtig spannend. Unter den vielen alten Zeitschriften befindet sich auch der "Völkische Beobachter" vom 30. Januar 1933, also vom Tag der Machtergreifung Adolf Hitlers. "Bei den Formulierengen finden sich Parallelen zu heute", musste er feststellen. Der Umgang mit Material aus den 1920er und 1930er Jahren sei aber kritisch. Verfassungsfeindliche Symbole dürfen nicht offen ausliegen. "Da bin ich sehr sorgfältig."

Hartmut Hessel hat die Eröffnung von Schätze & Co nicht bereut. Und er bleibt bei seinem Vorschlag, leer stehende Geschäfte mit Waren aus dem Second-Hand-Bereich zu beleben, auch im Hinblick auf die neu geschaffene Stelle des Stadtmanagers und den beiden Charity-Geschäften für das Tierheim Wannigsmühle und das Heimatspielhaus. Die Geschäfte tauschen sich untereinander aus. Das bestätigt auch Wolfgang Kern vom Tierheim-Laden. "Wir geben Bücher an Hartmut Hessel, wenn er sie leichter verkaufen kann", sagt er. Umgekehrt gebe Hessel Tierbücher an das Lädchen, das mit rund sieben Jahren schon viel länger als das Antiquariat existiert.

Second-Hand-Outlet nennt Hartmut Hessel seinen Vorschlag. Noch einige Geschäfte ließen sich damit beleben, ist er überzeugt. Dass Interesse da ist, merkt er nicht nur an den Kunden. Er hat auch Helfer gefunden, die ihn tatkräftig ehrenamtlich unterstützen.

Hintergrund:

Eugen Kogon (1903 - 1987) war aus christlich motivierten Gründen bekennender Gegner des Nationalsozialismus und wurde mehrfach verhaftet, weil er politische Flüchtlinge mit Geld unterstützt hatte. 1939 inhaftierten die Nazis ihn im KZ Buchenwald. Dort war er zuletzt als Arztschreiber tätig. Er sollte zusammen mit 45 Mithäftlingen kurz vor der Befreiung exekutiert werden, doch der Arzt, für den er tätig war, schmuggelte ihn aus dem Lager und rettete ihm das Leben.

Nach dem Krieg wurde er publizistisch tätig und veröffentlichte bereits 1946 das Buch: "Der SS-Staat: Das System der deutschen Konzentrationslager". Es gilt noch heute als Standardwerk der NS-Verbrechen. Eugen Kogon war Zeuge der Anklage bei mehreren Nazi-Prozessen, veröffentlichte noch mehrere Bücher. Später wurde er zum Professor der Politwissenschaften berufen, er leitete und moderierte das ARD-Politmagazin Panorama.