Tierheim: Die große Angst vor dem Danach
Autor: Thomas Malz
Münnerstadt, Montag, 15. März 2021
Abgesehen von "Ebay-Opfern" ist es ruhig geworden im Tierheim Wannigsmühle. Leiterin Ursula Boehm befürchtet, dass das die Ruhe vor dem Sturm ist.
Was ist, wenn Corona vorbei ist? Was ist, wenn Home-Office nicht mehr die Regel ist? Ursula Boehm hat da die schlimmsten Befürchtungen. Bei Katzen, die Freigang haben, sei das kein Problem. "Das lässt sich gut mit einer Berufstätigkeit vereinbaren", sagt sie. Aber die Hunde. In der Wannigsmühle seien sie sehr sorgsam gewesen mit der Vermittlung der Vierbeiner. Tiere von befreundeten Tierschutzverbänden im Ausland seien nur in Einzelfällen übernommen worden. "Weil wir den Markt nicht noch mehr befeuern wollen." Die Leiterin weiß aber, dass das nicht überall der Fall war. "Andere vermitteln auf Teufel komm raus." Das wird sich nach der Pandemie rächen, ist sie überzeugt. Viele der Hunde, die den Menschen über die schwierige Zeit mit Corona hinweggeholfen haben, werden dann von ihren Besitzern nicht mehr gebraucht oder nicht mehr gehalten werden können. Und dann landen sie in der Wannigsmühle.
Es gibt noch ein Problem: Die Hundeschulen sind geschlossen. "Unüberlegt angeschaffte Vierbeiner, die nie eine Hundeschule gesehen haben, können meist nicht allein bleiben", weiß Ursula Boehm. "Die finden sich dann im Tierschutz wieder." Also befürchtet sie nicht nur, dass nach Corona zahlreiche Hunde wieder zurückgegeben werden. Viele von ihnen dürften auch noch unerzogen und dementsprechend schwer zu vermitteln sein.
Stamm-Gassigeher helfen aus
Zu Beginn der Pandemie hat die Wannigsmühle die Vermittlungen erst einmal komplett gestoppt. Auch heute sind Besuche nur nach telefonischer Voranmeldung und unter Einhaltungen der Hygienebestimmungen möglich. Das Tierheim kann auf Stamm-Gassigeher zurückgreifen, einfach einmal vorbei gehen und mit einem Hund spazieren gehen - das funktioniert seit einem Jahr nicht mehr. Und das ist auch nicht nötig, denn so viele Hunde gibt es gar nicht und einige haben Verhaltensauffälligkeiten - das ist nichts für Fremd-Gassigeher. Diese Tiere sind auch nur beschränkt vermittelbar.
In der Wannigsmühle hat es im letzten Jahr vermehrt Anfragen gegeben. Solche und solche. Ursula Boehm erinnert sich an den Anruf einer Frau, die einen Hund leihweise haben wollte, weil es ja erlaubt war, auch während der Ausgangssperre mit einem Hunde Gassi zu gehen. "Das gibt's wirklich, mir fällt da manchmal gar nichts mehr ein, was ich antworten soll", sagt die Leiterin. " Was ist mit den Lebewesen, die dann die Welt nicht mehr verstehen?" Aber da hat Ursula Boehm in den 15 Jahren, in denen sie Leiterin der Wannigsmühle ist, noch ganz andere Dinge erlebt.
Kauf über Kleinanzeigen
Ein neuerer Trend, der ihr gar nicht gefällt, ist der Kauf von Tieren über Ebay-Kleinanzeigen. Ebay-Opfer nennt sie die Hunde, von denen sie schon einige vermitteln konnte. Sieben größere sind aber noch da, darunter Puma, ein zweieinhalb Jahre alter Schnauzermischling, der sich noch gut entwickeln kann und auch mit Kindern zurecht kommt. Nur Katzen mag er nicht. Und er braucht ein bisschen Training. Die Geschichte von Puma gleicht den anderen. Über Kleinanzeigen gekauft, dann passt etwas nicht, dann werden sie abgegeben. "Die Leute fahren bis nach Dresden, um die Tiere zu holen." Dann knurrt der Hund vielleicht einmal bei dem ganzen Stress oder schnappt nach einem Kind. Das war's. Ein zweites Mal wird nicht nach Dresden gefahren. Die Wannigsmühle ist näher. Es werde so viel darüber berichtet im Fernsehen und in der Presse. "Trotzdem kaufen die Leute über Ebay-Kleinanzeigen."
Die Einschränkungen wegen Corona haben dem Tierheim nicht nur Negatives gebracht. "Der Stresspegel der Hunde ist dramatisch gesunken", sagt Ursula Boehm und fügt vielsagend hinzu: "Unserer auch." Am Tor ist jetzt Schluss für Besucher. Ohne Termin geht gar nichts mehr. "Wir überlegen uns, das beizubehalten." Vermittlungen seien viel konkreter, viel entspannter für Mensch und Tier. Aber mit einem Besuch ist es nicht getan. "Die Wannigsmühle macht keine Schnellschüsse." Es solle ja eine dauerhafte Verbindung werden, Mensch und Tier sollen glücklich werden. Bei manchen treffe das Prozedere auf Unverständnis. Aber so entstehe vielleicht eine Verbindung für viele Jahre.
Hilfe angeboten
Auch in dem Corona-Jahr hat das Tierheim viel Unterstützung erfahren. "Unsere Förderer und Spender haben uns wirklich gut durch die Krise getragen." Viele Tierfreunde meldeten sich, die ehrenamtlich mitarbeiten wollten. Da gab und gibt es aber ein Problem: "Wir sind auf unsere Fachpersonal angewiesen und versuchen unser Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten." So nett die Angebote waren - sie habe sie nicht annehmen können, sagt die Tierheimleiterin. "Das hat mir sehr leid getan."
Im Tierheim geht das Leben weiter, ein paar Hunde warten auf ein neues Zuhause und rund 60 der insgesamt 150 Katzen. 90 Samtpfoten leben als Haus- und Hofkatzen in der Wannigsmühle und sind fast alle gar nicht mehr vermittelbar, weil sie immer wieder kommen, sobald sie in ihrem neuen Zuhause raus dürfen. "Sie vermissen halt ihres Kumpels", meint die Leiterin. Jungkatzen gibt es derzeit nicht, aber Ursula Boehm ist sich ganz sicher, dass sich das sehr bald dramatisch ändern wird, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich die Samtpfoten an irgendwelche Abstandsregeln halten.
Das alles ist nicht neu, bisher ist das Tierheimteam auch dank der zahlreichen Unterstützer der Lage immer irgendwie Herr geworden. Neu ist das, was nach Corona auf die Tierheime zukommen wird. Und das macht Ursula Boehm Angst.