Streiche aus einer anderen Zeit
Autor: Gerhild Ahnert
Maßbach, Sonntag, 03. Juli 2016
Mit "Max und Moritz" bringt das Theater Schloss Maßbach ein turbulentes Stück für Kinder auf die Bühne.
Zuerst ist da ein riesiges Buch. Ein Kinderbuch, das zu den bekanntesten im deutschsprachigen Raum gehört. Dann kommen fünf in Zylinder und schwarzen Frackanzug gewandete Gestalten, begrüßen die ganz jungen und auch etwas älteren Zuschauer im brechend vollen Freilichttheater von Schloss Maßbach. Sie gehen auf die Bühne und legen in sehr abwechslungsreich gestaltetem rhythmischen Sprechen los: "Ach, was muss man oft von bösen/ Kindern hören oder lesen!" Wilhelm Buschs berühmtes Kinderbuch "Max und Moritz" mit seinen bei vielen älter Gewordenen ein Leben lang unvergessenen Paarreimen wird gespielt.
Üble Streiche
Und das lässt sich gar nicht so einfach machen, denn Wilhelm Busch hat ja keine Dialoge fürs Theater geschrieben.
Er erzählt ja seine Geschichte von den beiden bösen Buben, die ihr ganzes Dorf aufmischen, weder vor dem Lehrer noch vor ihrem Onkel Fritz zurückschrecken, wenn es darum geht, jemandem durch einen Streich übel mitzuspielen. Sie sägen Brücken an, mischen Sprengstoff unter den Pfeifentabak, lassen Hühner ersticken und klauen sie im gebratenen Zustand noch der alten Witwe Bolte, die sich nach ihrem Verlust wenigstens einen Festtagsschmaus mit ihnen bereiten will. Und da sie mit ihrem recht brutalen Vergnügen am Leiden anderer gar so heftig übers Ziel hinausschießen, kriegen am Ende auch sie selbst eine Abreibung, die sie mit dem Leben bezahlen.
Drastische Strafe
Ähnlich unwahrscheinlich wie James Bond überleben sie den ersten Racheanschlag des Dorfbäckers, der sie mit seinen Broten in den Backofen schiebt, aber der listige Bauer Mecke macht ihnen dann den Garaus in der Getreidemühle. Und - späte Rache für Witwe Boltes Hühnerhof - die zermahlenen Schlingel frisst dann genüsslich das Müller'sche Federvieh. Und wie im Märchen freut man sich, dass - völlig politisch unkorrekt für die heutige Zeit - die gar zu üblen Burschen drastisch, aber irgendwie doch gerecht bestraft worden sind. Das 19. Jahrhundert liebte solche Geschichten des "Wenn du nicht brav bist, wird es dir übel ergehen!" à la Struwwelpeter. Sie sind Gott sei Dank unserer Zeit so fremd, dass sicherlich kein Kind auf die Idee kommt, sie mit seiner Realität zu verwechseln. Sie kommen, wie der Maßbacher Bühnenbildner Peter Picciani klarmacht, aus dem großen alten Buch aus einer völlig anderen Zeit.
Sechs Geschichten
Das stemmen die fünf Schauspieler Andreas Heßling, Sandra Lava, Philipp Locher, Susanne Pfeiffer und Anna Schindlbeck auf und erzählen mit den darinnen befindlichen Versatzstücken die sechs Geschichten um die hereingelegten oder übel zugerichteten Dorfbewohner und den Tod der Übeltäter. Und das geschieht absolut nicht wie im guten alten Dorftheater mit seinen echt wirken sollenden Versatzstücken. Regisseur Christian Schidlowsky weiß sehr genau, wie blitzschnell die Kleinen denken und kombinieren können und lässt sie erstmal knobeln an der Präsentation der "Bubengeschichte in sieben Streichen". Zunächst einmal werden die Reime vorgetragen, werden ihre rhythmischen Möglichkeiten auch mal zum Rap
oder zum einfach witzigen Spiel wie in den Variationen zu "Ritze, ratze..." genutzt. Dabei wird mit minimalen Requisiten angedeutet, was in der jeweiligen Geschichte vor sich geht. Dabei verlässt sich der Regisseur auf die Phantasie der Kinder, die allerdings nicht zu jung sein dürfen. Verschiedenfarbige Federboas werden zu Witwe Boltes Hühnern und hängen dann sehr traurig auf einem kleinen Ast. Nach dem witzigen und einfallsreichen Textvortrag, auch mal als Rap, wird die Szene pantomimisch dargestellt, mal zu Musik, mal als choreographierter Tanz. Auf einer dritten Ebene wird auch mit dem musikalischen Hintergrund gespielt. Zum Brückenanschlag auf Schneider Böck ertönt Smetanas Moldau, zu Philipp Lochers wildem Tanz um Meister Lämpels Tastatur zum "Orgelspiele" lieferte kein Geringerer als Johann Sebastian Bach den Soundtrack.
Der Spitz ist unschuldig
In diesen Pantomimen treten die Schauspieler dann als Rollenspieler auf den Plan. Beim berühmten Hühnerklau durch den Schornstein und Witwe Boltes Suche nach dem Schuldigen rückt Andreas Heßling als der zu Unrecht verdächtigte Spitz der Witwe in den Mittelpunkt der fast tragisch herausgespielten Handlung vom verkannten Hausgenossen. Und die Handschuhpantomime der schrecklichen Krabbeltiere im Bett von Onkel Fritz wird von Anna Schindlbeck und ihren Insektenpeinigern akrobatisch-komisch zu wohlig-gruseliger Musik ausgespielt. Sandra Lava und Susanne Pfeiffer steigen nicht nur als Max und Moritz immer wieder der Deko aufs Dach, sondern teilen sich wie die anderen auch diese und die übrigen Rollen und die Hilfestellungen auf der Bühne.
Alle Schauspieler sind so ständig in Bewegung, ziehen sich blitzschnell um, greifen sich Requisiten, räumen sie auf, stecken sich Buschs eigenwillige Frisurenkreationen in die Haare, tanzen, rennen, zeigen ihrem Publikum einen optisch ständig verwandelten Spielraum fürs Schauen und Mitdenken. Kleinere Schwierigkeit hatten sowohl Kinder als auch Erwachsene beim Durchschauen der Doppelstruktur durch die jeweils zweimalige Erzählung der Geschichte. War die kapiert, genossen alle Zuschauer bei der dieser Premiere das Gezeigte. Entsprechend laut, lang und heftig fiel dann der Applaus aus.