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Otello kann nicht, muss aber


Autor: Thomas Ahnert

Maßbach, Sonntag, 26. Juni 2016

Eine Komödie mit singenden Schau- spielern? Geht das? Es geht. Das Ensemble des Theaters Schloss Maßbach liefert den Beweis.
Marc Marchand, Benjamin Jorns und Angela Koschel-de la Croix (von links) Foto: Sebastian Worch


Natürlich gibt es das immer wieder mal, wenn auch nicht so oft, dass junge Musikerinnen oder Sänger eine Weltkarriere starten, indem sie für einen bereits berühmten, plötzlich erkrankten oder indisponierten Kollegen einspringen. Da gibt es im Publikum vielleicht die eine oder andere Enttäuschung, aber die Geschichte läuft eigentlich immer in geordneten Bahnen ab. Überall? Nein!
In einem kleinen, friedlichen Dorf namens Maßbach weitet sich die Verhinderung des Stars zur Katastrophe, die um jeden, um wirklich jeden Preis verhindert werden muss: Otello darf nicht platzen! Eigentlich ist es ja nicht Maßbach, sondern Cleveland in den 1930er Jahren, wo der Operndirektor Saunders den Startenor Tito Merelli, "Lo Stupendo", an die Oper der damals musikbesessenen Stadt (man denke nur an das Cleveland Philharmonic Orchestra) verpflichtet hat, um den Otello in Verdis gleichnamiger Oper zu singen.


Es kommt, wie es ...

Aber es kommt, wie es kommen muss: Der Kerl kommt drei Stunden zu spät, hat sich im Speisewagen des Zuges überfressen, ist in Panik geraten, dass das Leben auch nur irgendwie an ihm vorbeigehen könnte, verweigert jede Probe, verwechselt Tabletten, sinkt aufs Hotelbett und schläft wie ein Stein. Unvorstellbar, dass Saunders mit dieser Nachricht vor das vollkommen aus dem Häuschen geratene Publikum tritt.
Das ist der Augenblick von Max, dem Assistenten und Faktotum von Saunders, der eine wunderbare Tenorstimme hat. Das Dumme ist nur, dass Max der einzige ist, der das weiß. Er hat die Partie des Otello immer in der Badewanne zur Schallplatte mitgesungen, er hat die Partie drauf, er traut sich das zu. Saunders ist entsetzt, aber er hat keine andere Wahl. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf ...
Ken Ludwigs Komödie "Lend me a Tenor" oder "Otello darf nicht platzen" ist ein wunderbares Stück für Menschen, die die Oper so lieben, dass sie sich auch über sie amüsieren können. Und sie ist ein Stück für Schauspieler, die gerne mal die komödiantische Sau rauslassen, die gerne auch mal Arien schmettern, obwohl sie wissen, dass das eigentlich nicht ihr Ding ist. Sie hat alles, was eine gute Boulevardkomödie braucht: Viele schlagende Türen (Bühnenbild: Robert Pflanz), viele Verwechslungen, viele witzige, spritzige, geistreiche, entlarvende Dialoge. Und sie ist eine Liebeserklärung an die Musik von Giuseppe Verdi.


Eine stimmige Inszenierung

Man muss aber auch sagen, dass Rolf Heiermann und sein Team eine Inszenierung geschaffen haben, bei der einfach alles stimmt. Da wird ein hohes Tempo gegangen und durchgehalten, da wird karikiert - aber immer im Rahmen des Liebevollen, nicht Beschädigenden, das wird mit einer ausgezeichneten, an der Musik orientierten Choreographie und vielen kleinen und größeren Regieideen der Zuschauer nie aus der lachenden Atemlosigkeit entlassen. Allein schon die Besetzung aller Rollen und ihre Führung ist perfekt.
Wini Gropper ist als Tito Merelli eine hinreißende, allerdings kahlköpfige Pavarotti-Parodie: die ganze Welt umarmend, aber ständig in der Furcht, von ihr gefressen zu werden, großmäulig und hilflos, großzügig und verbohrt - da entfaltet sich ein enormes Spektrum. Im Gegensatz zu Merelli, der das Hotelzimmer am Ende fast in demselben hilflosen Zustand verlässt, in dem er es betreten hatte, macht Max eine erstaunliche Entwicklung durch. Georg Schmiechen macht mit geradezu nervender, weinerlicher Penetranz aus dem verkannten Genie einen selbstbewussten Helden, der sich plötzlich traut, gegenüber seinem Chef Forderungen zu stellen - und zwar nur, weil Merelli ihn als Sänger bestärkt hat. Wenn die beiden das Duett Don Carlos-Rodrigo aus dem "Don Carlos" schmettern, ist das vielleicht nicht CD-reif, aber man bekommt plötzlich eine Ahnung, was Oper vermag (Iva Simon muss bei der Gesangseinstudierung Wunder vollbracht haben).


Deutsches Kauderwelsch

Was auch ein kleines Wunder ist, das ist, wie gut Gropper und Schmiechen (sobald er Merelli-Otello ist), dieses typische italienisch-deutsche Kauderwelsch mit den vielen "e" am Ende durchhalten - übrigens auch Silvia Steger als Titos Frau Maria, die sich fürchterlich über Merellis Weibergeschichten aufregt, aber wohl nur für die Galerie. Denn sie weiß genau - und damit spielt sie auch - dass ihr Tito absolut von ihr abhängig ist. Marc Marchand ist der Operndirektor Saunders, der durch den Betrieb zum groben Klotz geworden ist, immer auf der Suche nach Ersatzlösungen und Ausreden, immer zupackend, dass es weh tut, immer kurz vor dem Magengeschwür. Seine Tochter Maggie wird in der Interpretation von Franziska Theiner zum Groopie, dem jedes Mittel recht ist, um so nahe wie möglich an "Lo Stupendo "" heranzukommen, auch um den Preis, den sie liebenden Max zu verprellen.


Starke Konkurrenz

Da hat sie natürlich auch starke Konkurrenz in Diana (Iris Faber), die die Desdemona gesungen hat und jetzt über ein Techtelmechtel hinaus die Beziehungen Merellis für ihre eigene Karriere nutzen will. Und ein bisschen auch von Julia (Angela Koschel-de la Croix), der im Laufe der Jahre etwas schrullig gewordenen Vorsitzenden der örtlichen Operngilde, die mit ihrer Erfahrung alle durchschaut. Und dann versucht auch noch der Page (Benjamin Jorns) sein Süppchen zu kochen und um ein Autogramm von Merelli mit geradezu erpresserischen Methoden des Underdog zum Ziel zu kommen.


Eine trefflliche Unterhaltung

Es ist ein Riesenspaß geworden, Otello platzt natürlich nicht. Aber ein kleiner Stachel bleibt: Natürlich können wir uns von oben herab über die hysterisierten Clevelander amüsieren, die einem Badenwannen-Pavarotti gründlich auf den Leim gegangen sind. Aber können wir diesen Fauxpas für uns heute wirklich ausschließen?