Münnerstadt: Nach 50 Jahren brach sie ihr Schweigen
Autor: Thomas Malz
Münnerstadt, Mittwoch, 23. Oktober 2019
Eva Szepesi ist in Auschwitz mehrfach ganz knapp dem Tod entronnen. Seit 1995 arbeitet sie das Geschehene unter anderem in Büchern auf. Jetzt war sie zu Gast am Schönborn-Gymnasium.
           
"Es kann immer alles passieren", sagt Eva Szepesi auf die Frage einer Schülerin, ob sie meint, dass so etwas wieder geschehen könnte. Aber sie war an vielen Schulen und hat immer einer offenen Jugend gegenüber gesessen, die ja mittlerweile die dritte und sogar vierte Generation nach den schrecklichen Ereignissen sei. Eins gibt die den Schülern aber mit auf den Weg: "Ihr seid nicht schuldig an dem, was damals passiert ist, aber ihr hättet Schuld, wenn es wieder passiert." Deshalb müssten sie dem entgegen treten.
Schulleiter Peter Rottmann hatte Eva Szepesi schon zwei Mal nach Schweinfurt eingeladen, wo er zuvor Schulleiter des Bayernkollegs war. Nun kam sie erstmals nach Münnerstadt, um von ihrem Leben zu erzählen und aus ihrem Buch "Ein Mädchen allein auf der Flucht" vorzulesen. Peter Rottmann stellte den Schülern des Q 11 und Q 12 den Gast vor. Die gebürtige Eva Diamant wurde 1932 in einem Vorort von Budapest geboren. Obwohl Ungarn mit Deutschland verbündet war, seien die rund 700 000 ungarischen Juden bis 1944 relativ sicher gewesen, sagt er. Als dann doch die Deportationen begannen, flüchtet sie. Am 4. November 1944 kam sie nach Auschwitz und wurde am 27. Januar 1945 befreit.
"Ich habe nie über das Thema gesprochen", sagt sie. Sie hatte das alles verdrängt. 1995 kam anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers eine Einladung nach Auschwitz, der sie zuerst nicht folgen wollte. Doch dann fuhr sie auf Drängen ihrer Töchter hin und hat ihr Schweigen gebrochen. Sie sah es seither als Verpflichtung an, darüber zu reden, weil die anderen nichts mehr sagen konnten, "weil sie stumm gemacht wurden".
Eva Szepesi spricht von einer glücklichen Kindheit, aber auch von ersten Diskriminierungen von ihren Spielkameraden im Alter von acht Jahren. Ihr Vater hat sie getröstet. "Jemand hat sie aufgehetzt", hat er gesagt. Später wurde er als Bausoldat eingezogen und an die Ostfront geschickt. Dann hat man nichts mehr von ihm gehört.
Als sich die Lage zuspitzte, schickte ihre Mutter sie zusammen mit einer Tante in die benachbarte Slowakei, wohin sie auf abenteuerlichen Wegen mit gefälschten Papieren kam. Ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder blieben zurück. "Bei der Verabschiedung hat mich meine Mutter so fest gehalten und geweint", sagt Eva Szepesi. Sie hat das damals nicht verstanden, denn die Mutter wollte doch bald nachkommen. Sie hat sie nie wieder gesehen.
Eva Szepesi beschreibt ihren abenteuerlichen Weg in der Slowakei. Ein paar Tage war sie - inzwischen allein - bei einem Rabbiner untergebracht. Später kam sie zu zwei älteren Schwestern, die nie geheiratet hatten. Durch Vorlesen von Geschichten und Märchen versuchten sie Eva Szepesi die Einsamkeit zu nehmen, weshalb sie sie ihre Märchenschwestern nannte.
Dann kamen die Männer. Eva Szepesi lag im Bett und war starr vor Angst. Eine Viertelstunde hatten sie und die zwei Schwestern Zeit, ihre Sachen zu packen. Schnell füllte sie einen Stoffbeutel, doch erst vor der Tür merkte sie, dass sie ihre Lieblingspuppe vergessen hatte. Sie wollte zurück und sie holen. "Doch alles Bitten und Flehen war vergeblich."