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Leben in einer Großfamilie


Autor: Dieter Britz

Münnerstadt, Sonntag, 14. Mai 2017

Das neue "Mürschter Kinderhaus" in der Reichenbacher Straße öffnete die Türen. Die Bewohner und Betreuer standen den Besuchern Rede und Antwort.
Auch die Mädchen können sich für Tischfußball begeistern. In der Mitte Charlie Friedel, der Geschäftsführer des Trägervereins und Erziehungsleiter im Kinderhaus.  Fotos: Dieter Britz


"Das Kinderhaus ist wie eine Großfamilie", heißt es groß am Schwarzen Brett im geräumigen Wohnzimmer oder besser Gemeinschaftsraum. Dass das genau so stimmt, davon überzeugten sich zahlreiche Besucher aus Münnerstadt und der weiteren Umgebung am Samstagnachmittag beim Tag der offenen Tür im Mürschter Kinderhaus in der Reichenbacher Straße 15. Dieses Haus ist kein antiquiertes Kinderheim, sondern eben eine Großfamilie, in der neun Mädchen, Buben und Jugendliche im Alter von fünf bis 18 Jahren leben.
Im Dezember 2005 hatte der Verein "Netzwerk für Soziale Dienste" in einem angemieteten Gebäude in der Coburger Straße die Heilpädagogische Wohngruppe "Mürschter Kinderhaus" eröffnet. Dieses Haus benötigte die Eigentümer-Familie nun für sich selbst. Deshalb zog das Kinderhaus im Februar in die Reichenbacher Straße um und richtete sich hier neu ein. Der Tag der offenen Tür bot die Möglichkeit, das Haus einmal von innen anzuschauen und sich im Gespräch über die Arbeit zu informieren, die hier geleistet wird. Charlie Friedel, der Gesamtleiter des Vereins und die Mitarbeiter des Kinderhauses standen den Besuchern Rede und Antwort.


Türen standen wirklich offen

Die Bezeichnung "Tag der offenen Tür" konnte man durchaus wörtlich nehmen, denn so gut wie alle Türen in dem Haus, das früher als sehr geräumiges Domizil für eine Familie gedient hatte, standen den Besuchern offen. Sie hatten die Möglichkeit, einen Blick in die Zimmer der neun Kinder und Jugendlichen zu werfen, die zurzeit hier leben oder auch die anderen Räume zu betreten. Beeindruckend waren für die Besucher vor allem der Gemeinschaftsraum oder der Sportraum mit Tischtennisplatte und Tischkicker, in dem auch ein Schlagzeug auf Benutzer wartet.


"Gute Arbeit"

Zweiter Bürgermeister Michael Kastl (CSU) mischte sich ebenfalls unter die Besucher, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und zeigte sich sehr angetan. "Der Verein ,Netzwerk für soziale Dienste‘ leistet eine sehr gute Arbeit für die Kinder und Jugendlichen, die hier für kurze oder längere Zeit unterkommen konnten", betonte er und "ich bin beeindruckt, dass das Haus ideal genutzt wird."
Die Kinder und Jugendlichen selbst, um die sich hier ja alles dreht, waren natürlich auch mit dabei und standen den Besuchern, wenn sie angesprochen wurden, ganz unbefangen Rede und Antwort. Nicht zu vergessen: Selbstverständlich war beim Tag der offenen Tür auch für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt.
Charlie Friedel ist ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender des 1996 gegründeten Gemeinnützigen Trägervereins "Netzwerk für soziale Dienste" und gleichzeitig Gesamtleiter der Einrichtungen, die dieser in den Landkreisen Bad Kissingen, Bad Neustadt und Schweinfurt unterhält. Außerdem ist der Diplom-Sozialpädagoge im Mürschter Kinderhaus Erziehungsleiter.
Im Gespräch mit unserer Zeitung erläuterte er, dass die Kinder aus Familien in Krisen kommen, zum Beispiel wenn es dort psychische Erkrankungen gibt, oder wenn die Eltern aus irgendeinem Grund überfordert sind mit der Erziehung. "Normalerweise stellen die Eltern den Antrag, dass ihre Kinder zu uns kommen können. Das Jugendamt ist meist nur der Vermittler", erklärte Friedel.


Eltern kommen regelmäßig

Manche Kinder bleiben nur kürzere Zeit und gehen dann zurück in ihre Familie, manche aber auch sechs bis acht Jahre. Dann werden die Erzieherinnen und Erzieher zur eigentlichen Bezugsperson. "Wir haben fünfeinhalb Personalstellen", so Friedel. Auch nachts ist immer jemand im Haus. Die meisten Eltern kommen regelmäßig zum Besuch. Das ist wichtig, damit der Kontakt nicht verloren geht. Wenn es ihnen wieder gut geht, dann gehen die Kinder zurück in die Familie.
Der Tagesablauf ist tatsächlich der einer Großfamilie: Nach dem gemeinsamen Frühstück besuchen die Kinder und Jugendlichen eine Schule, die meisten gehen in die Mittelschule oder ins Gymnasium in Münnerstadt, ein Kind in eine Förderschule. Nach dem gemeinsamen Mittagessen und Erledigung der Hausaufgaben stehen zum Beispiel Termine zwischen Arztbesuch und Fußballtraining an. Und zum Spielen und Herumtollen bleibt auch genug Zeit.


Hauptsächlich Einzelzimmer

Vor dem Umzug von der Coburger in die Reichenbacher Straße gab es in dem neuen Domizil natürlich einiges zu tun, um die Zimmer, Küche, Gemeinschaftsräume usw. einzurichten. Auf Wunsch der Kinder und Jugendlichen sind vor allem Einzelzimmer vorhanden. "Die Farbgestaltung wurde komplett verändert und mit den Kindern abgestimmt", sagt Charlie Friedel. Die Farbwünsche der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner waren ganz unterschiedlich.
Eine Einrichtung wie das Mürschter Kinderhaus zu unterhalten, kostet natürlich einiges an Geld. "Wir finanzieren uns über die Pflegesätze, die das Jugendamt zahlt", sagt Charlie Friedel. Doch er freut sich auch über "unheimliche Spendenunterstützung in den Geschäften und in der Bevölkerung". Die Bundeswehr-Patenkompanie in Hammelburg hat ebenfalls einmal eine größere Summe gespendet. "Die Einrichtung wird in der Stadt als ,unser Kinderhaus‘ akzeptiert, das voll integriert ist, es gibt keine Berührungsängste, die Kinder werden auch in der Schule voll angenommen", weiß Charlie Friedel.