Druckartikel: Klischees werden in Maßbach bedient

Klischees werden in Maßbach bedient


Autor: Gerhild Ahnert

Maßbach, Mittwoch, 26. April 2017

"Kleider machen Leute" zum Thema Vorurteile gegen Fremde wird zum Lehrstück. Allerdings fehlt eine wirklich straff gestaltete dramatische Handlung.
Ein Fremder türkischer Herkunft im Schneesturm in der thüringer Provinz (Alexander Baab, mit dem Computer), umringt vom fremdenfeindlichen Kellner (Michael Schaller, hinten links), dem ebenso pegidanahen Automechaniker (Marc Marchand, hinten rechts), der verliebten Wirtin (Jaqueline Binder, hinten Mitte) und ihrem Verehrer, Bürgermeister Weidemann (Eike Domroes, hinten Mitte) und der Bürgermeisterstochter Annette (links auf dem Sofa): Rolf Heiermanns "Kleider machen Leute" beim Theaterring.  Foto: Gerhild Ahnert


Man kann nur raten, was als Erstes da war. Wirklich die Idee, Gottfried Kellers doch recht altväterliche Novelle "Kleider machen Leute" dramatisiert für die heutige Zeit auf die Bühne zu bringen? Oder doch gleich die Vorstellung, den Titel für ein selbst verfasstes Bühnenstück zu benutzen und darin alles unterzubringen, was man den deutschen, oder eher thüringisch-fränkischen Theaterzuschauern im Theater Schloss Maßbach an eigenen Ideen zur aktuellen Lage 2016 und der Verfassung eines Provinznestes im Thüringer Wald unbedingt sagen wollte?
Firmiert hat Rolf Heiermanns Stück jedenfalls bis zur Premiere unter dem Originaltitel Gottfried Kellers. Erst bei der Uraufführungs-Premiere überraschte im Programmheft die Unterzeile "Volksstück nach Gottfried Keller, frei bearbeitet von Rolf Heiermann". Natürlich muss man Kellers Text aktualisieren, weshalb Kellner, Besitzer einer Autowerkstatt und eine Studentin als Bürgermeisterstochter in der Besetzungsliste nicht besonders irritierten.


Immer mehr Verdächtiges

Was dann aber am 31. März und jetzt beim Bad Kissinger Theaterring auf die Bühne kam, ließ die Keller'sche Geschichte nur noch ganz vage durchscheinen: Ein Fremder kommt in ein kleines Dorf, wird aufgrund seiner auffälligen Kleidung verkannt; am Ende kriegt er die Tochter des Bürgermeisters.

Ansonsten ist fast alles anders: In Heiermanns "Volksstück" wird der Fremde nicht aufgrund seines teuren Mantels für einen Wohlsituierten gehalten, hier erscheint er deutlich "underdressed" im verdächtigen Kapuzenshirt und mit übergeworfener Wolldecke gegen den Schneesturm draußen vor der Tür, der Autobahnen und Handy-Empfang beeinträchtigt. Aufgrund seines türkischen Namens, seines fremdländischen Aussehens, seiner ständigen hektischen Handytelefonate auf Türkisch wird er schnell, vor allem vom ausländerfeindlichen Kellner Ludger Bachlauf, für einen Asylanten oder gar Terroristen gehalten. Denn das Ganze spielt nicht im beschaulichen Seldwyla, sondern 2016 in Oberhof im Hotel "Zur Waage".

Paula Reiser, die Besitzerin des Hotels, bleibt zunächst skeptisch, doch als auch Franz Böhner, Besitzer der Autowerkstatt im Dorf, ebenfalls immer mehr Verdächtiges im Verhalten des jungen Türken erkennt, spult der Autor die gesamte Palette der Vorurteile ab: Pegidaparolen, Bürgerwehren, Kriminalisierung von Ausländern, Terrorismushysterie und der Ruf nach Abschottung des Einwanderungslandes Deutschland werden laut.


Tochter ohne Vorurteile

Das angebliche "Volksstück" wird zum Lehrstück, als dann der demokratische Bürgermeister mit Deutschlands fremdenfeindlicher Geschichte dagegenhält und die Segnungen der Weltoffenheit beschwört. Seine vorurteilslose Tochter Annette zeigt schließlich allen, was eigentlich für ein sympathischer Deutschtürke hinter dem Fremden steckt, nicht ohne, dass die Dorf-"Bürgerwehr" mit Fleischbeil und Luftgewehr erst einmal über den Fremden hergefallen ist.


Verbrecher in Anzügen

Dabei gehört der ja zu den "Guten", ist als IT-Experte in Sachen Bekämpfung der Cyber-Kriminalität unterwegs. Damit auch jeder den Zusammenhang mit Kellers Text erkennt, kommt am Schluss auch noch der Hinweis, wie viele Verbrecher sich hinter schicken Anzügen verstecken und als angesehene Geschäftsleute hofiert werden. Entsprechend lässt Anita Rask Nielsen, die für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnete, den jungen Deutschtürken voller Ironie am Ende auch im Smoking auftreten.

Sie hat mit viel Gefühl für das Pseudoschicke und Miefige auf einer Vorder- und Hinterbühne das modisch aufgepeppte eiskalt-glatte Hotelfoyer vor die mit miefigem Provinz-Pseudogemütlichkeits-Kitsch überladene Stammtischecke auf der Hinterbühne gestellt. Heiermann hat auch aus Volksstück, Kriminalstück, Slapstickkomödie altbekannte Kniffe und Tricks, Typen-, und Situations-Komik aufgeboten. Und er weiß natürlich auch, welche Klischees die hier gleich doppelte Liebeshandlung bedienen muss.


Unbedingt kürzen

Was aber trotz einiger Spannung auf die Aufdeckung der wahren Identität des "Fremden" fehlt, ist eine wirklich straff gestaltete dramatische Handlung ohne alle die Schnörkel und Nebenschauplätze. Hier hätte man unbedingt kürzen müssen. Manches wirkte weit hergeholt, hölzern, theoretisch, ungeschickt und aufgesetzt. Hier hätte man streichen, straffen, ausmisten sollen in dieser sicherlich so gut gemeinten Auseinandersetzung des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach und seines Ensembles mit unserer Gegenwartsgeschichte.


Zuschauerschwund in der Pause

Auch die sechs Rollen sind stark typisiert, konnten nur von den beiden jüngeren Darstellern zu halbwegs erkennbaren Charakteren zusammengefügt werden. Das so unglaubwürdig zusammengestückelte Zeitstück knirschte in so vielen Gelenken, dass auch die Schauspieler sich nicht wirklich zeigen konnten. Nicht wenige Zuschauer verließen schon in der Pause das Theater. Der Schlussbeifall war freundlich; die Unmutsäußerungen und Diskussionen hielten länger an.