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Fransen-Knüpfen ist nicht alles


Autor: Dieter Britz

Münnerstadt, Donnerstag, 18. Februar 2016

Zur Hochzeit hatte Rita Schmitt ein Problem, das sie bis heute beschäftigt. Warum die Preußin in Reichenbach hängen blieb, hat sie jetzt verraten.
Das Fransen-Knüpfen für Trachtentücher hat Rita Schmitt sich selbst beigebracht.  Foto: Dieter Britz


Rita Schmitt ist die Bäuerin auf dem Sonnenhof auf halbem Weg zwischen Reichenbach und Münnerstadt. Die Ortsbäuerin ist vielfältig engagiert und wurde über das Forum aktiv, dessen Vorsitzende sie ist, in den Stadtrat gewählt. Doch sie ist keine Fränkin, sondern eine vor 30 Jahren zugereiste waschechte Preußin. Sie bekennt freimütig: "Bayern ist für Preußen nun mal feindliches Ausland." Im Erzählcafé des Seniorenzentrums St. Elisabeth sprach die "Reigschmeckte" aus ihrem Leben und schilderte ausführlich die etwas verzwickte Geschichte, wie sie nach Münnerstadt gelangte.


Lumumba hilft

Rita Schmitts Lebensgeschichte ist schon vor ihrem Auftauchen in Münnerstadt erzählenswert. Das Licht der Welt erblickte sie im Jahr 1956 in einer kleinen Gemeinde bei Osnabrück. Die Mutter war deutsche Kriegerwitwe, der Vater politischer Flüchtling aus Jugoslawien. Gerne wäre sie nach der Schulzeit Friseurin geworden. Aber weil sie so gut in Deutsch und Rechtschreibung war, durfte oder musste sie den Beruf der Rechtsanwalts- und Notargehilfin erlernen und arbeitete später denn auch in der Rechtsabteilung der Industrie- und Handelskammer in Osnabrück.
Die Heirat ihrer langjährigen besten Freundin in Osnabrück war sozusagen der Start zum Weg nach Münnerstadt. Mit bei der Feier waren auch Helmut und Thomas Schmitt aus Reichenbach, Vater und Bruder des Obstbauern Klaus Schmitt. Aber das wusste sie natürlich nicht. Auch an diesem Abend wurde sie darauf angesprochen, warum sie mit 30 noch immer allein sei. Ein paar Lumumba (ein ziemlich gefährliches, aber gut schmeckendes Gebräu aus Kakao und Weinbrand) lösten ihre Zunge - und sie erklärte etwas derb, "dass die Männer wie Toiletten sind, entweder besetzt oder beschissen". Und dass der Mann, den sie mal heiraten würde, vier Kriterien zu erfüllen habe: Er dürfe nicht trinken und nicht rauchen, er müsse tanzen können und er dürfe nicht (!) zu gut aussehen, "so dass ich ihn für mich allein habe". Aber der Mann müsse wohl erst noch gebacken werden. Und sie erzählte auch, dass sie reiten könne - weil sie auf Mallorca mal auf einem Pferd gesessen hatte und nicht runterfiel.


Verlockendes Angebot

Helmut und Thomas Schmitt schwärmten ihr daraufhin etwas vom schönen Frankenland am Fuß der Rhön vor und erzählten ihr von einem Edi, der Pferde hat. Wenn sie mal Urlaub in Münnerstadt machen würde, könne sie bei ihm bestimmt reiten. Nun gut, sie nahm das Angebot an und machte im Oktober 1986 Urlaub in Reichenbach. Quartier nahm sie in der Pension Holzheimer.


Wann Franken aufstehen

Zuerst war sie zu einem Polterabend in Poppenlauer eingeladen. Thomas Schmitt hatte ihr erklärt, die Franken könnten so richtig gut feiern, "ich würde mich wundern". Die Leute dort sprachen eine eigenartige Sprache, die sie nicht verstand. Und "es gab keine Musik, keinen Tanz, keinen Spaß, nur dieses Kauderwelsch, einfach Langeweile pur. Und irgendwie fühlte ich mich beobachtet. So einen traurigen Polterabend habe ich noch nie erlebt". Bei einer Geburtstagsfeier am nächsten Tag in Reichenbach ging es ihr nicht besser, "wieder sprachen alle Kauderwelsch, wieder verstand ich niemanden. Und auch hier gab es niemanden, der für mich übersetzte". Am Ende des Abends wusste sie genau, wann ein Franke aufsteht: "Nur dann, wenn er muss."
Einen Tag später wollte sie allein nach Bad Kissingen, um sich im Hotel Sonnenhügel zu amüsieren. Thomas Schmitt aber engagierte sicherheitshalber Bauer Edi Schmitt als Begleiter, da er selbst verhindert war. "Es war ein wunderschöner Abend, und der Bann wie auch die Sprachbarrieren waren gebrochen", sagt Rita Schmitt. Und dann der gemeinsame Ausritt: Der temperamentvolle junge Hengst merkte schnell, dass die Reiterin keine Ahnung hat und stieg. Sie blieb zwar oben, aber nachhause ging es nur noch im Schritt. "Ich stieg ab. Danach beschloss ich, das Pferd stehen zulassen und lieber den Mann zu nehmen."


Keine Fransen an der Tracht

Zwei Jahre später, im Oktober 1988, wurde geheiratet. Rita Schmitt ließ sich dafür eine Tracht schneidern. Dabei gab es nur ein Problem: die Fransen am Tuch, das zur Tracht gehört. Nirgendwo waren welche aufzutreiben. Also knüpfte sie die Fransen selbst. Das entwickelte sich weiter. Schon lange ist sie deutschlandweit die einzige, die das Fransenknüpfen an Trachtentüchern noch gewerblich betreibt. Ihre Kundschaft kommt überwiegend aus Bayern, aber auch aus Österreich und vereinzelt aus dem Norden.
Was gehört noch zum Leben der Rita Schmitt? Sie hat drei Söhne, sie holte ihre an Demenz erkrankte Mutter aus Osnabrück auf den Hof in Reichenbach und pflegte sie über viele Jahre, sie war Kommunionmutter. Und dann kam der 14. Oktober 2007. An jenem Tag, einem Sonntag, ging sie, um etwas für ihre Gesundheit zu tun, zu Fuß von Münnerstadt in Richtung Sonnenhof. Etwa 200 Meter nach der Bahnunterführung wurde sie von einem Auto erfasst und sehr schwer verletzt. Seitdem ist sie schwer behindert und auf Gehhilfen angewiesen. Der Rechtsstreit mit der Versicherung läuft immer noch, neun Jahre nach dem Unfall.


Zuhörern Mut gemacht

Als engagierte Stadträtin des Forum Aktiv sorgt Rita Schmitt immer wieder für Schlagzeilen. Auf ihre politische Tätigkeit im Stadtrat ging sie beim Erzählcafé allerdings kaum ein. Sonst hätte sie sicher noch einmal eine Stunde Erzähl-Zeit gebraucht. Dafür aber hat sie einigen ihrer Zuhörer Mut gemacht, ihr Schicksal anzunehmen, aber auch zu kämpfen. Wie sagte sie: "Ich lebe heute. Und morgen schau'n wir mal." Demnächst wird sie übrigens ihre Geschichte in Haard erzählen.