Eine ziemlich heftige Party
Autor: Thomas Ahnert
Maßbach, Montag, 20. Januar 2020
Im Intimen Theater wird Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" gespielt mit einer absolut mitreißenden und begeisternden schauspielerischen Umsetzung.
Jetzt hat es der amerikanische Dramatiker Edward Albee, wenn auch erst vier Jahre nach seinem Tod, doch noch geschafft, mit seinem Schauspiel "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" auf die Bühne des Maßbacher Theaters zu schaffen.
Lena Hutter hatte es immer abgelehnt, das Stück, das 1961 seine Uraufführung erlebte und spätestens in der Verfilmung mit Liz Taylor und Richard Burton, deren (Ehe-)Leben als Projektionsfläche natürlich bestens geeignet war, weltweit Beachtung fand, in den Spielplan aufzunehmen. Freilich, damals waren die Provokations- und Hemmschwellen anders. Damals - gut, ein bisschen später - konnte auch der Nobel-Problembär Peter Handke mit seinen "Publikumsbeschimpfungen" noch für empörte Schlagzeilen sorgen. Heute schmunzelt man über sein Stück. Aber er hat ja auch andere Strategien gefunden, um sich in der Diskussion zu halten.
Über Albees "Wer hat Angst..." schmunzelt man auch heute noch nicht, zumindest nicht textbedingt. Die Geschichte ist eigentlich ganz einfach. Da sind Martha und George, die vor rund 22 Jahren geheiratet haben und die in der absoluten Provinz der Ostküste gestrandet sind. "Neu-Karthago" heißt das Kaff. Das klingt schon nach unausweichlichem Untergang, und es hat eine ebenso provinzielle Universität. George hat dort eine Professur für Geschichte.
Hemmungsloser Streit
Eines Abends kommen die beiden mitten in der Nacht ziemlich angetrunken - anders lässt sich das wohl nicht überstehen - von einem College-Empfang, nach Hause. Und die beiden, die sich eigentlich lieben, beginnen mal wieder ihr Ritual. Sie geraten in einen hemmungslosen Streit, in dem es keine Tabus und keine roten Linien mehr gibt. Man wird den Eindruck nicht los, dass das für die beiden die einzige Möglichkeit und Zeit ist, der Fremdbestimmung durch ihre Umgebung zu entgehen. Da können sie ganz sie selbst sein, da verschwimmen Realität und Erzähltes, da streiten sie sich bis auf Blut über einen 21-jährigen Sohn, den sie wahrscheinlich gar nicht haben.
Das Ganze könnte gut ausgehen, denn irgendwann würden sie einschlafen, und am nächsten Morgen wäre von dem ganzen Streit nur noch ein Brummschädel übrig. Aber dummerweise haben sie, als sie den Empfang verließen, Nick und Putzi noch auf einen Absacker zu sich eingeladen. Die zwei könnten ihre Kinder sein; sie haben erst vor kurzem geheiratet, als Putzis Scheinschwangerschaft das nahelegte. Nick ist ein Kollege von George, allerdings als Biologe. Als die beiden eintreffen, geraten sie völlig arglos in die auf Hochtouren laufende Kampfmaschine. Natürlich versucht vor allem Nick mit seinem männlichen Beschützerinstinkt, allmählich gegenzuhalten. Klar, dass er scheitert. Als er sich mit Putzi schließlich gruß- und hilflos zurückzieht, erlahmt auch die Kampfeslust bei Martha und George. Die Normalität beginnt sich das Terrain zurückzuerobern.
Wer bis hier her gekommen ist, wird sich jetzt vielleicht sagen: "Warum soll ich mir das anschauen, wenn ich das zuhause selber habe?" oder, mehr oder weniger ehrlich: " So geht's bei uns - hoffentlich - nie zu." Wer jetzt im Sessel sitzen bleibt, verbringt möglicherweise den üblichen ruhigen Abend, aber er verpasst über das Stück hinaus etwas, das über den Text hinausgeht: eine absolut mitreißende und begeisternde schauspielerische Umsetzung.
Und die ist gar nicht so einfach. Denn es wird viel gefordert, aber auch geboten. Albee hat in dieses Kammerspiel für vier Personen enorm viel hineingepackt: Realismus und absurdes Theater, Psychoanalyse und Rollenverhalten, Emanzipatorisches und einfach nur Aggressives, Dummes und ausgeklügelt Hinterhältiges. Kein Wunder, dass - im Gegensatz zum Zuschauer - die Darsteller bis an die Grenze gefordert sind.