Druckartikel: Einblicke in ein zerrüttetes Land

Einblicke in ein zerrüttetes Land


Autor: Dieter Britz

Münnerstadt, Donnerstag, 16. März 2017

Oberst i.G. Peter Utsch sprach im Erzählcafé Münnerstadt über seinen Einsatz in Afghanistan. In Kürze steht der nächste an.
Zweimal Oberst i.G. Peter Utsch: Links bei seinem Vortrag im Erzählcafé im Haus St. Michael. Rechts auf einem per Beamer projizierten Bild zusammen mit einheimischen afghanischen Politikern.  Foto: Dieter Britz


Peter Utsch ist 60 Jahre alt und seit 41 Jahren Soldat bei der Bundeswehr. Ein Blick auf seine Schulterklappen mit silbernem Lorbeerkranz und drei Sternen weist ihn als Oberst aus. Die Schulterklappen an seiner hellgrauen Uniformjacke sind rot unterlegt, die Kragenspiegel ebenfalls und zeigen eine handgestickte Kolbenstickerei - also ist er sogar Heeres-Oberst im Generalstabsdienst (abgekürzt Oberst i.G.).

Er wohnt bei Karlstadt, sein Dienstort ist Veitshöchheim, der Sitz der 10. Panzerdivision. Eugen Albert konnte ihn für das Erzählcafé im Haus St. Michael gewinnen. "Ich kenne ihn von den Freien Wählern her, aber dies ist natürlich keine politische Veranstaltung", machte Albert deutlich. In Kürze beginnt für Peter Utsch der vierte, etwa ein halbes Jahr dauernde Einsatz in Afghanistan. Er ging ausführlich auf dieses Land ein, das flächenmäßig fast doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik, aber nicht einmal halb so viele Einwohner hat. Bei seinen Aufenthalten in Afghanistan war und ist Utsch als Berater für die nationale Armee von Afghanistan tätig.


Lebenserwartung bei 45 Jahren

Das Binnenland ohne einen Anschluss an die Weltmeere besteht überwiegend aus Wüsten und bis rund 5000 Meter hohem Hochgebirge, wie Peter Utsch anhand von Fotos aufzeigte. Nur zehn Prozent der Fläche sind überhaupt für Landwirtschaft nutzbar. Die Sommer sind heiß und trocken, in manchen Gegenden regnet es über Jahre nicht. Die Winter sind oft sehr kalt. Rund die Hälfte der 32,5 Millionen Einwohner ist unter 20 Jahre alt, die Lebenserwartung liegt bei durchschnittlich 45 Jahren, die Kindersterblichkeit bei über 15 Prozent.

70 bis 80 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten, was zum Beispiel bei der Ausbildung der Soldaten zu großen Problemen führt, ergänzte Peter Utsch. Die Bevölkerung spaltet sich in zehn Ethnien auf, die wichtigsten sind die Paschtunen mit 42 und die Tadschiken mit 27 Prozent. Sie sprechen mehrere unterschiedliche, schwierig zu lernende Sprachen und über 50 Dialekte. Unter den Ethnien gibt es Probleme, da die Bevölkerung noch viel zu sehr in Clan- und Stammesstrukturen denkt. 80 Prozent sind Sunniten, 19 Prozent Schiiten. "Wenn Sie sagen, ,ich bin gläubiger Christ' wird Ihnen das dort niemand übel nehmen", schilderte er seine Erfahrungen, "aber Probleme könnte es geben, wenn Sie sagen, ,ich glaube an nichts.'"

Das Land wird seit 40 Jahren durch Krieg, Bürgerkrieg und Unruhen zerrüttet. Es gibt etwa 150 000 Flüchtlinge und ein bis eineinhalb Millionen Binnenvetriebene im Land. Insgesamt ist Afghanistan ein Entwicklungsland, das durch extreme Armut geprägt ist. Die Arbeitslosigkeit sei hoch und deshalb auch die Kriminalitätsrate. Peter Utsch warnte dringend davor, im Land Urlaub zu machen, da es eine hohe Entführungskriminalität gebe. Das Gesundheitssystem sei nicht zuletzt wegen der fehlenden Ärzte stark unterentwickelt.


Mindestens eine Generation

Für die Größe des Landes sei die Armee mit ihren 195 000 Soldaten eigentlich zu klein, meint Peter Utsch. Sie könne im Moment das Land nicht allein stabilisieren. Ohne die Berater sei nicht auszuschließen, dass Afghanistan wieder zurück in Bürgerkriegs-Zeiten falle. Es brauche mindestens eine Generation, gerechnet ab 2002, die Probleme einigermaßen in den Griff zu bekommen. Deshalb sei auch die Ausbildungsmission der Bundeswehr nötig.

Ob er schon einmal in Kampfhandlungen verwickelt war, wurde er gefragt. Das war er zwar nicht, "aber Sie können nie sicher sein, dass Sie nicht in einen Raketenbeschuss kommen. Man lebt mit der Gefahr und gewöhnt sich an das Umfeld." Insgesamt 980 Soldaten der Bundeswehr sind in der Ausbildungsmission "Resolute Support Mission Afghanistan" als Berater im Land. Die Mission endet, wenn sie nicht verlängert wird, Ende 2017.


Wenig persönliche Ansichten

Der Vortrag von Peter Utsch vermittelte den Zuhörern einen tiefen Einblick in dieses Land. Über sich persönlich erzählte der Oberst relativ wenig. Immerhin erfuhr man, dass er aus Siegen (Nordrhein-Westfalen) stammt, verheiratet ist und zwei Kinder hat und im April 2018 in Pension geht. Dass er auch in Hammelburg Dienst tat, erwähnte er ebenfalls am Rande. Dort wurde er im Juli 2012 Leiter der Lehre und Ausbildung an der Infanterieschule, danach wechselte er als Dezernatsleiter zur 10. Panzerdivision nach Veitshöchheim.