Beckett raffiniert überlistet
Autor: Thomas Ahnert
Maßbach, Montag, 11. Oktober 2021
"Endspiel" verlangt den Schauspielern viel ab. Als Zuschauer ist man fasziniert von den Bildern.
Es ist schon seltsam - oder würde man in dem Zusammenhang nicht besser sagen: absurd? Samuel Becketts "Endspiel" ist eines der bekanntesten Theaterstücke. Wenn dieser Titel genannt wird, heben sich kennerisch die Augenbrauen sogar bei Leuten, die das Stück weder gesehen noch gelesen haben. Einen wesentlichen Beitrag zu der Popularisierung dürfte sein kapitaler Fehlstart gewesen sein: Als die deutsche Fassung von "Fin de partie" im September 1957 in der Regie von Hans Bauer am Berliner Schlossparktheater herauskam, stieß es auf absolutes Unverständnis und blankes Entsetzen. Absurde Theater kannte man damals noch nicht. Nach acht dürftig besuchten Vorstellungen war das Stück wieder vom Spielplan verschwunden.
Durchaus seltsam: Als zehn Jahre später der Meister selbst, also Samuel Beckett, sein "Endspiel" in der Werkstattbühne des Schillertheaters inszenierte, da jubelte die Kritik - fast vorhersehbar - so laut, dass das Echo für 150 Vorstellungen reichte. Dann sank das Interesse wieder auf Normalmaß.
Beckett selbst war ja auch nicht ganz unschuldig daran.
Natürlich war die Verstörung deshalb so groß, weil das Publikum von damals mit dem Theater im Sinne der Schiller'schen moralischen Anstalt groß geworden war. Auch wenn die meisten Bösewichter am Ende tot waren, konnten die Zuschauer das Theater als bessere Menschen wieder verlassen. Diese Möglichkeit hatten sie hier nicht; es gab keine Identifikationsfigur, keinen Sympathieträger mehr. Aber nicht nur das: Beckett verbittet sich jeglichen Deutungsversuch, sonst wäre letztlich der Anspruch des Absurden verwirkt: "Wir haben keine Aufschlüsse über Geheimnisse anzubieten, die nur sie (die Fragestellenden) erschaffen haben. Wenn sich jemand über die Obertöne Kopfschmerzen machen will, möge er das ruhig tun. Und sich auch selbst um das Aspirin kümmern."
Ein Raum mit vier Menschen
Der Zuschauer, der es gewohnt ist, in der Welt auf der Bühne seine eigene zu suchen und zu erkennen, sieht sich allein gelassen. Denn was auf der Bühne verhandelt wird, ist nicht seine Welt. Die gibt es nicht mehr, wenn das Spiel beginnt - nur noch einen Raum mit vier Menschen und drum herum wüstes Wasser und leeres Land.
Was kann, was soll man also schreiben über ein Stück, das laut Autor nicht erklärbar ist, in dem eigentlich so gut wie nichts passiert. Denn "Endspiel" ist nicht ein Spiel über das Ende, sondern mit dem Ende, dem jegliche zielgerichtete Energie fehlt. Denn ein Ende ist trotz mancher Sehnsucht und Todessehnsucht nicht vorgesehen.
Die vier Menschen sind ruiniert bis zur Lächerlichkeit: Hamm (Ingo Pfeiffer), der nicht mehr laufen, sondern nur noch sitzen kann und der seinen Diener Clov (Benjamin Jorns) schikaniert, der nicht mehr sitzen, sondern nur noch laufen kann. Er würde gerne weglaufen - aber wohin? Und Hamm ist der Hüter der Essensvorräte. Und da sind Nagg (Marc Marchand) und Nell (Jacqueline Binder), die Eltern von Hamm, die in zwei Fässern stecken, seit sie bei einem Tandemunfall alle vier Beine verloren haben. Das ist eine wirklich absurde Welt, mit der man nichts zu tun haben will, obwohl man sich immer wieder dabei ertappt, Parallelen und Bezüge zu suchen. Nicht einmal Corona taugt dazu. Eigentlich eher abschreckend.