Mitreißendes Feuer und Tempo im Regentenbau
Autor: Thomas Ahnert
Bad Kissingen, Montag, 12. Sept. 2016
Für Musikfreunde war es eine kleine Sensation, als Gerd Schaller ein Konzert mit Mitgliedern des Leipziger Gewandhausorchesters im Großen Saal ankündigte.
Sonntag, 17 Uhr, scheint eine gute Zeit für ein Konzert zu sein. Da ist manchem das Wochenende schon zu lang geworden, und trotzdem beginnt der Abend erst, wenn man aus dem Konzert wieder herausgeht. Das war natürlich nur ein Grund, warum der Große Saal so ungewöhnlich gut besucht war - und das auch noch trotz der hochsommerlichen Temperaturen. Aber natürlich lag es vor allem an den Interpreten und dem Programm.
Dass das Gewandhausorchester Leipzig einmal beim Kissinger Sommer zu Gast war, das ist schon sehr lange her, das war noch weit vor dem Ende des letzten Jahrhunderts. Und es ist nicht weniger lang her, dass Burkhard Glaetzner mit dem Neuen Bachischen Collegium Musicum, einem Ensemble aus dem Orchester, das letzte Mal aufkreuzte. So war es schon in den Kreisen der Musikfreunde eine kleine Sensation, als Gerd Schaller, der mit seinem Ebracher Musiksommer gerne auch im Regentenbau gastiert und sich hier ein durchaus treues Publikum erarbeitet hat, ein Konzert mit Mitgliedern des Leipziger Gewandhausorchesters ankündigte.
Massentaugliches Programm
Und natürlich war auch das Programm enorm massentauglich. Denn dieses Mal dirigierte Gerd Schaller nicht irgendeine irgendwie bearbeitete Bruckner-Sinfonie (mit deren Aufnahmen er durchaus Schlagzeilen macht), sondern geradezu ein Wunschkonzert.
"Von Barock bis Barock" hätte es heißen können, Schaller selbst nannte es "Königliches Barock". Das passt natürlich gut zu Bad Kissingens "Königlichem Vergnügen", aber war etwas irritierend, denn Telemann und Bach hatten es vor allem mit Stadtmagistraten zu tun, Giuseppe Sammartini war zu seinen Lebzeiten am englischen Hof im Wesentlichen als Oboist bekannt, und Händel schrieb seine berühmte Suite zwar für die Royal Fireworks, aber King George war darüber erstaunlicherweise nicht sonderlich amused.
Wie dem auch sei, das Programm signalisierte ungetrübten Genuss, der frei bleiben konnte von unangenehmen Überraschungen. Und es war ein Programm, das auch die Musiker aus der Tasche ziehen konnten, Musik, die sie im Kopf und in den Fingern haben.
Solovioline konnte sich behaupten
Dass sich dennoch nicht Routine breitmachte, lag am ersten Werk, dem selten
gespielten D-dur Konzert für Solo-Violine, drei Hörner und Orchester von Telemann. Da hatte Gerd Schaller ein bisschen zu tun, um die einzelnen Gruppen perfekt zu synchronisieren - was ihm selbstredend gelang. Aber es war natürlich auch spannend, wie (gut) sich die Solovioline nicht nur gegen das Orchester, sondern auch die drei (modernen) Ventilhörner behaupten konnte.Einen kleinen Kampf gab es auch bei Bachs 4. Brandenburgischen Konzert, denn den Lokalheroen scheint man an der Pleiße etwas getragener, zelebrierter, würdevoller zu spielen, als sich Gerd Schaller das vorstellte. Aber er setzte sich mit seinen flotten, respektlosen Tempi durch, und die Musik bekam plötzlich eine mitreißende Qualität, wie man sie bei diesem doch recht bekannten Werk nicht erwartet hätte.
Kurzweilig
Da war plötzlich ein Feuer in dem Wechselspiel zwischen den Solisten und dem Tutti, das man mit Bach eigentlich nicht in Verbindung bringt, weil es sich so selten ereignet. Und auch die Orchestersuite Nr. 3 wurde dadurch ungemein kurzweilig, farbig, lebendig. Vor allem die Bourrée war in ein staunen machendes, rekordverdächtiges Tempo gerückt.
Aber getanzt hat schon zu Bachs Zeiten auf diese Musik niemand mehr. Es war fast ein bisschen unfair, in das Programm das für sich genommen sehr bekannte Flötenkonzert F-dur von Giuseppe Sammartini zu rücken. Das entwickelte durchaus Charme und war von Eckehard Kupke hochvirtuos gespielt. Aber nach den drei Barock-Monumenten und der im Hintergrund noch wartenden Feuerwerksmusik, merkte man halt doch, dass Sammartini in einer etwas tieferen Liga spielte, dass er gute Ideen hatte, aber schnell ins Floskelhafte geriet, und man begriff, dass seine Karriere als Komponist erst posthum begann.
Händels beliebtestes und gleichermaßen bekanntestes Orchesterwerk spielte Gerd Schaller mit einem Impetus, als wollte er King George wenigstens noch 267 Jahre nach der Uraufführung ins Unrecht setzen. Dabei hatte er in den drei Trompeten und drei Hörnern kraftvolle Verbündete.
Vor allem aber in Mathias Müller. Der machte die staatstragenden Repräsentationssätze zu wahrhaft ansteckenden Paukenkonzerten. Vor allem "La Réjouissance" war mit solcher Verve gespielt, dass viele im Publikum das verständlicherweise schon für das Finale hielten und applaudierten.
Aber es kamen noch zwei Menuette. Und da durften die Leipziger dann auch noch ein bisschen zelebrieren. Aber die Zugabe war - da hatte Gerd Schaller schon richtig entschieden - noch einmal der erste Teil der "Réjouissance".