Druckartikel: Mit vier PS durch das Saaletal

Mit vier PS durch das Saaletal


Autor: Sigismund von Dobschütz

Bad Kissingen, Freitag, 20. Juni 2014

Seit 75 Jahren verkehrt die Postkutsche zwischen Bad Kissingen und Bad Bocklet. Auch der erste Mensch auf dem Mond fuhr schon mit dem Gefährt, das inzwischen zu einem Wahrzeichen der Kurstadt geworden ist.
Die Postkutsche bei ihrem Halt in Bad Bocklet im Jahr 1959. Fotos: Dobschütz


Bad Kissingen — Vor 75 Jahren nahm die Bad Kissinger Postkutsche im Auftrag der Reichspost ihren täglichen Liniendienst ins Nachbarbad Bocklet auf. Bis heute gilt sie bei einer Auslastung von 95 Prozent als das bestgenutzte Verkehrsmittel Deutschlands und, da sie wohl das meistfotografierte Motiv Bad Kissingens ist, als touristisches Wahrzeichen der Kurstadt.
Seit Januar 1913 hatte die Bad Kissinger Postfuhrhalterei Kohlhepp mit ihren Pferdekutschen die regelmäßigen

Linien- und Ausflugsfahrten nach Bad Bocklet betrieben. Doch ab 1924 wurden auch hier die motorgetriebenen Kraftomnibusse der Reichspost eingesetzt.

Idee des Reichspostministers

Erst 1937 regte der gerade neu eingesetzte Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge an, "in landschaftlich reizvollen Gegenden Pferdepostkutschen mit blasenden Postillionen" wieder einzuführen, um "Erholungssuchenden im Zeitalter von Technik und Tempo die Möglichkeit zu geben, in romantischer Beschaulichkeit zu reisen". Zu diesem Zweck ließ er in Bautzen gleich ein Dutzend Kutschen vom Typ Berline Coupé bauen, wie sie bei der kaiserlichen Reichspost ab 1871 in Gebrauch waren. Bad Kissingens Landrat und Badkommissar Rudolf Conrath beantragte gleich im Januar 1938 die Aufnahme einer solchen Postkutschenverbindung "zwischen dem Weltbad Bad Kissingen und dem Biedermeierbad Bocklet". Dem Antrag wurde stattgegeben.
Am Vormittag des 7. Juni 1939 wurde die Pferde-Personenpostlinie vor dem Kissinger Postamt als sechste in Deutschland offiziell in Betrieb genommen. Die Firma Kohlhepp war wie in früherer Zeit für den täglichen Fahrbetrieb verantwortlich und stellte die Pferde sowie Kutscher und Postillion, beide gekleidet in königlich bayerischer Postillion-Uniform. Nach kurzer Rundfahrt durch Bad Kissingen ging die Fahrt über die Ludwigsbrücke durch die Au nach Kleinbrach, um dann auf der neuen, erst 1934 gebauten Straße nach Bad Bocklet fortgesetzt zu werden. Beim Mittagessen mit etlichen Honoratioren verwies Initiator Conrath auf die Bedeutung der Postkutschenlinie "zur Belebung des Fremdenverkehrs". Die Rückfahrt führte über Hausen nach Bad Kissingen. Seitdem verkehrte die Kutsche zweimal täglich für 3,50 Reichsmark pro Fahrgast.
Doch schon am 1. September musste der neue Liniendienst wegen Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs eingestellt werden.

Neubeginn 1950

Erst anlässlich des erstmals veranstalteten Rakoczy-Festes wurden die Fahrten zwischen beiden Bädern auf Anregung des Kissinger Postamt-Leiters Alfred Balzer am 13. August 1950 wieder aufgenommen - diesmal als einzig verbliebene Kutschenverbindung der Post in Deutschland. Hierfür wurde die seit Kriegsbeginn in der Postgarage (Münnerstädter Straße) untergestellte Kutsche instandgesetzt. Wieder wurde Kohlhepp der Fahrbetrieb übertragen. Eine Fahrt kostete fünf D-Mark. Acht Jahre später, der Fahrpreis war auf acht Mark gestiegen, traf man die Entscheidung, die Postkutsche im täglichen Wechsel ins Staatsbad und zum Schloss Aschach fahren zu lassen.
Am 17. April 1967 setzte die Bundespost eine neue, in den Bamberger Postwerkstätten gebaute Kutsche ein - wieder eine Berline Coupé, allerdings mit erhöhtem Fahrkomfort und dank hydraulischer Vierradbremse mit besserer Verkehrssicherheit. Die alte Kutsche kam ins Nürnberger Postmuseum, wo sie heute nur noch zu besonderen Anlässen wie dem Christkindlesmarkt eingesetzt wird.
Ein "Außerirdischer" war wohl der berühmteste Fahrgast dieser zweiten Bad Kissinger Postkutsche. Nur wenige Monate nach seinem Mond-Spaziergang hielt sich Apollo-11-Astronaut Neil Armstrong am 8. August 1970 für wenige Stunden in der Kurstadt auf.
1973 nahm die Bundespost den Kutschendienst vollständig in eigene Regie. Als Poststallmeister und Gespannführer wurde Landwirtschaftsmeister Berthold Dürrstein aus Kleinbrach verpflichtet, der es aufgrund seiner Alleinstellung in Deutschland sogar bis in Robert Lemkes bekanntes Fernsehquiz "Was bin ich" schaffte.
1988 übernahm schließlich der Reit- und Kutschen-Fahrlehrer Hans Körner aus Arnshausen den Kutschendienst. In jeder Sommersaison beförderte er seitdem in seinem nostalgischen Vier-PS-Neunsitzer auf 165 Fahrten etwa 1500 Passagiere auf 4500 Kilometern. Nach einem schweren Unfall übernahm ab Saison 2010 seine Ehefrau Yvonne den Kutschbock.

Förderverein trägt Defizit

Da die jährlichen Betriebskosten (heutiger Stand) inzwischen auf über 80 000 Euro angestiegen sind, bei aktuellem Fahrpreis von 18 Euro aber nur 25 000 Euro eingenommen werden, war schon vor Jahren eine langfristige Lösung zur Deckung des hohen Defizits überfällig. Deshalb wurde am 14. Oktober 2005 der Förderverein "Freunde der Postkutsche Bad Kissingen - Bad Bocklet" gegründet, "um den Weiterbestand der Postkutsche als ein Wahrzeichen Bad Kissingens dauerhaft zu sichern". Die sieben Mitglieder Deutsche Post (30 Prozent), Stadt Bad Kissingen (25), Landkreis Bad Kissingen (15), Staatsbad GmbH und Bezirk Unterfranken (je 10) sowie Gemeinde Bad Bocklet und deren Staatsbad und Touristik GmbH (je 5) einigten sich auf anteiligen Ausgleich des jährlichen Betriebsverlustes von heute etwa 60 000 Euro.
In ihren 40 Betriebsjahren war auch die zweite Postkutsche altersschwach geworden. Nachdem sich ein Neubau als mangelhaft erwies, gab ihn der Verein kurzerhand zurück, ließ für 25 000 Euro die alte Kutsche in der Stuttgarter Kutschenmanufaktur Kühnle auf besten Stand bringen und setzte sie ab 2010 wieder ein.
Auch heuer fährt sie zwischen Mai und Oktober auf ihrem regelmäßigen Liniendienst zwischen Bad Kissingen und Bad Bocklet oder Schloss Aschach - jeden Tag bei Wind und Wetter.